Das freie Stehen

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Positiv verstärkt wird vieles einfacher

Wir wollen eine ganze Menge von unseren Pferden. Leider wird herkömmlicherweise sehr viel Druck genutzt, um sie zu all dem zu bringen, aber da Pferde naturgemäß sehr kooperativ sind, sind sie bereit, vieles ganz freiwillig für uns zu tun. Voraussetzung dafür ist, dass sie uns überhaupt erst einmal verstehen und weiterhin sollte das, was wir wollen, nicht unangenehm, sondern im Gegenteil, möglichst angenehm sein. Ich möchte Euch einmal am Beispiel „Das freie Stehen“ zeigen, dass die positive Verstärkung ein exzellenter Weg dafür ist.

Verstehen und gute Gefühle führen zum Ja

Sehr oft kann ich beobachten, dass Menschen etwas von Pferden wollen, ohne dass sie auf folgende, ganz wesentliche Dinge achten:

  • Darauf, dass das Pferd wirklich versteht, was von ihm in dieser Situation gewünscht wird.
  • Darauf, dass das Gewünschte für das Pferd nicht unangenehm ist.

Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass wir dem Pferd verständlich machen, was wir von ihm möchten. Und doch gehen ganz viele, ohne groß darüber nachzudenken, einfach davon aus, dass das Pferd weiß, was es tun soll. Aber woher soll ein Pferd wissen, was wir gerade in diesem Moment wollen? Wir wollen so vieles und wir wollen vieles, was Pferden von allein nicht in den Sinn kommen würde. Statt ihnen die Sachen pferdefreundlich zu erklären, strafen wir nur „Fehler“, so dass sie selbst herausfinden, was wir erwarten. Zeigt es dann einmal das richtige Verhalten, denken viele, dass es das „ja nun kann“ und fordern es von da an selbstverständlich. Das Pferd hat aber in vielen Fällen noch gar nicht verstanden, worum es genau geht, weil ihm das nicht vermittelt wurde, sondern nur der Druck wegfiel. Hinzu kommt, dass in einer anderen Situation oder an einem anderen Ort für ein Pferd alles wieder ganz anders sein kann, so dass es den Bezug zu dem vorherigen Ereignis nicht zieht und tatsächlich nicht weiß, was wir dieses Mal wollen.

Und überlegt dann mal, wie oft etwas auch noch unangenehm für das Pferd ist: Es fühlt sich vielleicht nicht sicher oder wohl, es empfindet Schmerzen oder Druck, es muss etwas tun, das es nicht möchte. Vielleicht gab es vorher auch schon Schimpfe und Strafen für die Sache und die ganze Aufgabe ist vergiftet. Das sind alles keine guten Voraussetzungen für ein vertrauensvolles und harmonisches Miteinander.

Ganz anders sieht es aus, wenn ich einen Weg finde, dem Pferd verständlich zu vermitteln, was ich möchte. Dann werden die allermeisten Pferde es gerne probieren. Und wenn ich es schaffe, dass sich die Sache auch noch angenehm anfühlt und ein gutes Erlebnis ist, wird mein Pferd die Sache auch gerne tun! Und dafür nutze ich die positive Verstärkung:

Das freie Stehen

Ein frei stehendes Pferd, das nicht einfach von sich aus losgeht, ist aus vielen Gründen eine feine Sache. Allem voran ist es deutlich entspannter, wenn ein Pferd es vollkommen okay findet, auch mal einen Moment zu stehen und einfach zu warten. Darüber hinaus gibt es viele Anlässe, bei denen es tatsächlich nötig ist, dass das Pferd auch mal still steht. Nicht immer hat man jemanden, der einem das Pferd halten kann und auch nicht immer ist etwas zum Anbinden da. Das freie Stehen ist für mich deshalb eine Grundlektion, die ich allen Pferden beibringe, mit denen ich arbeite.

Zunächst belohne ich gezielt das ruhige Stehen neben mir mit Strick und Halfter. Zu Beginn und / oder wenn ich es mit einem sehr unruhigen Pferd zu tun habe, belohne ich „hochfrequent“. Das heißt, ich bestätige das richtige Verhalten sehr oft. Das Pferd steht eine Sekunde? Click + Lob und das viele, viele Male, bis das Pferd sicher versteht, dass es das ruhige Stehen ist, wofür es belohnt wird. Langsam dehne ich dann die Dauer etwas aus, gehe aber je nach Pferdepersönlichkeit, Lernkurve oder auch Situation wieder zeitlich zurück.

Bitte beachten: Für manche Pferde ist das ruhige, freie Stehen tatsächlich eine der schwierigsten Übungen überhaupt, da sie denken, sie müssen ständig etwas tun. Erst wenn ich den Eindruck habe, dass das Pferd sicher versteht, worum es geht, übe ich es in allen möglichen Situationen und auch frei.

Stillstehen beim Pferd loben.
Fotos von Horst Streitferdt

Wichtig: Ich belohne das Stehen auch später immer wieder. Natürlich nicht so hochfrequent wie zu Beginn (das nur in Ausnahmesituationen, also z.B. bei einer Tierarztbehandlung), aber stetig. Für mich es diese Übung nie selbstverständlich, denn normalerweise würde ein Pferd einfach losgehen, wenn es das möchte. Dass es bei mir bleibt, ist etwas, was ich von ihm möchte, und deshalb sorge ich dafür, dass es dafür viel positive Aufmerksamkeit bekommt.

Blick in die Praxis: Hufverband erneuern auf der Wiese

Und hier seht Ihr noch ein paar Bilder, wie das freie Stehen ganz praktisch bei uns aussieht. Anthony hatte neulich ein Hufgeschwür. Ich musste täglich den Verband nachkleben und angießen. Er stand auf der Weide und ihn dafür zurück zum Stall zu holen, wäre ganz schön aufwändig gewesen, zumal er sich dort allein dann eh nur Sorgen gemacht hätte. Da war ich mal wieder sehr dankbar dafür, dass er diese Übung wirklich großartig macht. Schaut mal, wie brav er steht, während ich mit dem Klebeband komme und den Verband erneuere:

Hufverband erneuern

Zwischendurch gibt es einen „Click“ und eine Belohnung und ich kann ganz in Ruhe meine Arbeit machen.

Hier gieße ich den Verband an:

Hufverband angießen

Anthony stand hier frei in der Herde, hätte also jederzeit „gehen“ können. Aber er blieb ganz entspannt bei mir und ich konnte zügig tun, was zu tun war – und für Anthony gab’s Kekse. Es lohnt sich in jeder Hinsicht, solche Basis-Sachen gründlich, geduldig und mit ganz viel guter Energie zu erarbeiten. Das macht sehr vieles sehr viel einfacher und schöner!

Lesetipp: Der Clickerkurs

Das freie Stehen des Pferdes

5 Kommentare

  1. Danke für diesen Beitrag!
    Uns ist das „rumstehen“ eine der wichtigsten weil hilfreichsten Übung. Beim Aufbau hat ein Bodentaget wirklich sesshr geholfen. Noch heute klappt es darauf am besten. So kann ich mein Pony zB beim Hufewässern „alleine“ stehen lassen und sie döst entspannt im Babyplanchbecken und oder auf einem nassen Flickenteppich vor sich hin.
    Zugegeben, wir mussten Freies Stehen zusammen lernen, da meine Stute in Panil geriet, wenn sie angebunden wurde. Dafür bin ich im Nachhinein also quasi dankbar.
    Aus der Not eine Tugend machen. Wir brauchen keine Anbinder 🙂
    Liebe Grüße und allen viel Freude am Gelingen
    Angelika

    Antworten
  2. oh, sorry für die vielen Tipfehler.
    Und kann ich hier Bilder/Videos hochladen?

    Antworten
    • Hallo Angelika,

      herzlichen Dank für das tolle Beispiel!
      Bilder und Videos gehen leider nicht hier hochzuladen, aber vielleicht hast Du einen Link zu einem Video? Das könntest Du posten 🙂
      Herzlich,
      Tania

      Antworten
      • Hallo Tania,

        dazu bin ich leider zu duselig, sorry.

        Alternativ habe ich aber noch ein weiteres Beispiel:

        Eine alte ausrangierte Matratze als Bodentarget nehmen und schwupps hat man eine prima Grundlage – im Wortsinne – für hilfreiches und Spaß machendes Propriozeptionstraining.
        Angelika

      • Ja, auch eine tolle Idee!
        Hast Du vielleicht Videos bei youtube oder anderswo eingestellt? Dann bräuchtest Du einfach nur den Link hier hineinkopieren 🙂
        Herzlich,
        Tania

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