… was sie verhindert und was sie fördert
Selbsthaltung ist ein wichtiges Ausbildungsziel im Pferdetraining. Und doch verhindern aus meiner Sicht viele Trainingsansätze, dass das Pferd sie tatsächlich entwickeln kann! Wenn wir möchten, dass sich das Pferd selbst trägt, müssen wir ihm die Möglichkeit geben, selbstständig ein gutes Körpergefühl, eine sichere Balance und nach und nach immer mehr Kraft zu entwickeln. Lerne in diesem Beitrag meinen eigenen Trainingsweg kennen.
Ein kritischer Blick auf das herkömmliche Training von Pferden
So gut viele Ansätze im Pferdetraining auch gemeint sind, so machen sie es Pferden leider schwer (und oft sogar unmöglich), echte Selbsthaltung zu entwickeln. Wir Menschen versuchen, durch starre Ziele, Dauerhilfen und einschränkendes Zubehör möglichst jede Bewegung des Pferdes auszulösen, zu steuern, zu kontrollieren, zu formen und zu bestimmen. Wie das aussieht, können wir so ziemlich überall sehen…
Dabei haben wir es doch mit natürlichen Bewegungskünstlern zu tun! Der junge Norweger Mucki zeigt hier vollkommen unbeeinflusst eine nahezu perfekte Selbsthaltung im freien Galopp auf der Wiese:
Wir scheinen leider vor lauter Trainingsvorgaben ganz zu vergessen, dass es ihr Körper ist, denn wir da oft sogar mit Gewalt zu dem bringen, was wir für richtig halten. Die Folgen der Umsetzung vieler Trainingsmethoden sind Verspannungen, Fehlbelastungen, Trageerschöpfung und gesundheitliche Schäden. Darüber hinaus verlieren viele Pferde nicht nur ihr Körpergefühl, sondern leider auch die Freude an der Bewegung.
Selbsthaltung kommt von „selbst machen“
Erzwungene Selbsthaltung ist für mich ein Widerspruch in sich. Selbsthaltung kann nur aus einem guten Körperbewusstsein und einer inneren Balance entstehen. Und dafür müssen Pferde sich selbst ausprobieren und erfahren dürfen, so, wie es zum Beispiel mein Anthony hier über Dualstangen tut:
Ich vergleiche Pferde gerne mit Tänzern. Wer würde auf die Idee kommen, bei einem Tänzer die Bewegungen durch schmerzauslösende Werkzeuge auszulösen? Wie schön wäre ein Tanz wohl anzusehen, wenn jede Bewegung von jemand anderem durch Befehle und Handgriffe bestimmt werden würde? Das, was uns an dieser Kunstform begeistert, sind doch Energie, Eleganz und Ausstrahlung, Geschmeidigkeit, Fluss und Grazie. Nichts davon kann jemand für einen anderen auslösen, sondern dafür braucht es Selbsthaltung!
Mut zu freien Bewegungen
Über all die Jahrzehnte, in denen ich nun schon mit Pferden zu tun habe, bin ich immer mehr davon abgekommen, Pferden alles vorgeben zu wollen. Im Gegenteil: Ich möchte ihnen immer mehr von dem zurückgeben, was wir ihnen durch unsere Ansprüche und Trainingsvorstellungen alles nehmen. Wenn wir mal ehrlich sind, machen wir sie doch durch strenge Hilfen und ständige Begrenzungen geradezu zu Marionetten. S
chaut Euch einmal bewusst spielende Fohlen an – sie sind Bewegung und Selbsthaltung pur! Und dann vergleicht ihre Bewegungen und Energie mit herkömmlich trainierten Pferden, also mit solchen, die durch ständige Hilfen geformt, durch Zügel gehalten und durch Hilfszügel in Haltungen gezwungen werden. Da wird einem erst einmal klar, was viele Pferde alles durch unser so gut gemeintes Training verlieren.
Damit Pferde sich wieder selbst spüren lernen, sich auszudrücken können und auch wieder Freude an der Bewegung finden, habe ich mein Freiraum-Training entwickelt. Hier starte ich immer mit dem, was das Pferd vorgibt und lade es ein, sich selbst zu entdecken und ausprobieren. Denn für mich gibt es nichts Schöneres, als erleben zu dürfen, wie sie durch diese Veränderungen wachsen und wieder strahlen können und zu ihrem natürlichen Sein zurückfinden. Darüber hinaus ist meine Erfahrung die, dass Pferde, die sich auf diese Weise Selbsthaltung erarbeiten, es viel leichter haben, sie auch mit einem Reitergewicht zu erhalten.
Lesetipp: Tanias Freiraum-Training
Liebe Tania, ich verfolge seit einiger Zeit „Wege zum Pferd“ und finde das Meiste gut und richtig. Allerdings bin ich der Meinung, dass eine gesunderhaltende Ausbildung beim Pferd nicht nur auf Freiwilligkeit des Pferdes beruhen kann.
In dem Artikel über Selbsthaltung beim Pferd vergleichst du das Pferd mit einem Tänzer. Das was wir an Tänzern so bewundern, ist allerdings ein Ergebnis knallharten Trainings über viele Jahre, oft auch noch verbunden mit einer Ablehung des eigenen Körpers aufgrund von Vorgaben über Gewicht und Aussehen. Ich habe selbst eine Tanzausbildung gemacht und als Tänzerin und Tanzpädagogin gearbeitet und kann das beurteilen. Es gab ja tatsächlich mal Anfang des 19ten Jahrhunderts eine Bewegung zum freien Tanz, die sich aber nicht gehalten hat, sondern zu verschiedenen modernen Tanzrichtungen entwichelt hat, die wiederum ein intensives jahrelanges hartes körperliches Training voraussetzen. Warum wohl?
Es ist also aus meiner Sicht nicht so einfach, dass man sagen kann, man überlässt das Training weitgehend dem Pferd. In Ansätzen ist das sicherlich sinnvoll, aber es muss dann auch weitergehen und das ist in unserer Verantwortung.
Liebe Grüße Gisela
Liebe Gisela,
vielen Dank für Deinen Kommentar, über den ich mich sehr freue! So kann ich vielleicht noch einiges deutlicher machen.
Mir geht es nicht darum, ALLES dem Pferd zu überlassen. Auch im Freiraum-Training gestalte ich aktiv mit und unterstütze die Pferde darin, eine gute Laufmanier zu entwickeln. Das Wertvolle dabei ist für mich aber, dass sie all die Bewegungen dann selbstständig ausüben. Das hat meiner Erfahrung nach sehr viele positive Aspekte, die sich sogar noch zeigen, wenn die Pferde in ihrer Gruppe auf der Weide laufen. Ich glaube tatsächlich, dass wir unseren Pferden einen großen Gefallen tun, ihnen wieder mehr eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen (und das auch nicht nur auf Bewegungen bezogen).
Ich verfolge zum Thema Bewegung sehr interessiert die Ansätze des propriozeptiven Trainings, kennst Du das? Für alle kurz erklärt: Hier wird in Frage gestellt, dass ein Training, bei dem immer nur dieselben Bewegungen bis zur Perfektion geübt werden, wirklich sinnvoll ist. Alternativ versucht man (zusätzlich) damit zu arbeiten, dem Körper möglichst viele verschiedene Bewegungsanreize und Bewegungsherausforderungen anzubieten, damit er sich quasi immer wieder neu finden und organisieren muss. Genau DAS finde ich gerade für unsere Pferde besonders spannend, denn die meiste Zeit bewegen sie sich ja doch ohne uns…
Und zu meinem Beispiel: Ja, das mit dem knallharten Training bei Profitänzern stimmt natürlich, viele Tänzer*innen zahlen dafür aber auch einen sehr hohen Preis… Ich dachte bei meinem Beispiel weniger an die Profiliga als an das Tanzen aus Freude, aber ich denke, dass Selbsthaltung tatsächlich in beiden Fällen die Grundlage für leichte und schöne Bewegungen sind, oder was meinst Du?
Ach, das sind alles für mich höchst spannende Themen, für die genau solche Gespräche gewinnbringend sind, finde ich 🙂
Herzlich,
Tania
Liebe Tanja,
von dem propriozeptiven Training habe ich tatsächlich noch nichts gehört. Aber es stimmt, man muss natürlich zwischen Profitänzern und Laientänzern unterscheiden. Vergleichen könnte man das mit Freizeitpferden und Pferden, die in Dressur- oder Springprüfungen gehen.
Natürlich stellt sich da die Frage, was ist sinnvoll und gut für Mensch und Tier. Ich organisiere inzwischen in meinem Wohnort und Umgebung ein Tanzcommunity-Projekt. Das ist eine Mischung aus freier Bewegung und festgelegten Bewegungsabläufen. Das ist sehr bereichernd und für die Teilnehmer*innen eine wunderbare körperliche und seelische Erfahrung. Es gehört wohl Beides dazu. Die Freiheit, aber auch die Schulung des Körpers durch Training.
Liebe Grüße Gisela
Jaaaa,
ich glaube, dass ein „entweder – oder“ fast nie eine gute Wahl ist, sondern uns das Schöpfen aus vielen Bereichen uns ermöglicht, bedürfnisorientiert, flexibel und angemessen zu entscheiden.
Ganz herzlich,
Tania
Ich habe bereits einen Kommentar geschrieben und abgeschickt. Warum wurde er nicht weitergeleitet?
Hallo Stephan,
der Kommentar wurde bei dem Blogbeitrag veröffentlicht, wo er verfasst wurde — ist alles da. 🙂
Herzlich,
Tania