… über alles?
Höher, schneller, weiter! Immer aufregender, spektakulärer und gefährlicher! Das führt leider auch in Sachen Pferdetraining zu hohen Zahlen von Followern entsprechender Social-Media-Accounts oder zu Zuschauern bei Veranstaltungen. Gezeigt wird auf diese Weise, wie wirksam bestimmte Methoden oder Hilfsmittel sind, um Pferde zu dem zu bringen, was man will … Aber darf denn wirklich Wirksamkeit im Pferdetraining das Entscheidende sein? Sollten wir nicht immer auch einen (selbst)kritischen Blick auf den Sinn der jeweiligen Ziele werfen und achtsam prüfen, wie hoch der Preis ist – einmal für die Pferde, aber auch für uns selbst?
Der Zweck heiligt die Mittel?
Wirksamkeit im Pferdetraining ist eine große Sache, denn hier geht es um Geld, Erfolg und Macht – drei Faktoren, die in unserer Gesellschaft einen hohen Wert haben. Um das zu erreichen, gibt es:
- Ausbildungsmethoden, mit denen sich der Wille eines Pferdes (auf leider oft subtile Weise) beherrschen oder gar brechen lässt, damit es immer genau das tut, was wir wollen.
- Hilfsmittel, mit denen wir Pferde wirkungsvoll in eine bestimmte Haltung zwingen können oder sie durch den Einsatz genau das tun, was wir wollen.
- Trainingswege und Mittel, mit denen Pferde über ihre natürlichen Leistungsgrenzen hinausgetrieben werden und dergleichen mehr.
Keine Frage, wir können Pferde zu sehr, sehr vielem bringen. Wirksamkeit ist faszinierend, denn die meisten von uns lieben es, etwas zu erreichen, das man sich vornimmt. Deshalb ist es leicht, sich gerade auch in Bezug auf den Umgang mit Pferden zu sehr von dem beeindrucken zu lassen, was andere alles mit ihren Pferden machen können, ohne die Methoden zu hinterfragen, die es ermöglichen. Aber ist es denn immer richtig, nur weil es möglich ist? Gerade wenn wir andere dafür bewundern, sollten wir genau hinschauen, was da wirklich geschieht, und immer auch unser Bauchgefühl dazu befragen. Das beginnt mit Zubehör, Hilfsmitteln oder „tollen Tipps“, mit denen wir Pferde durch Angst oder Schmerzen gefügig machen oder in eine gewünschte Haltung zwingen und es endet in dem, was sich „Freiarbeit“ nennt …
Ein Beispiel aus meiner Praxis
Frei mit Pferden zu arbeiten, war schon immer mein Traum und ich habe mir unzählige Ansätze und Trainer*innen angeschaut. Hier werden oft Methoden verwendet, die zweifellos wirksam sind, aber aus meiner Sicht auch fragwürdig. So wurde mir vor vielen Jahren beigebracht, dass ich mich immer durchsetzen und mein Pferd kontrollieren muss. Ich habe gelernt, Pferde gezielt zu verunsichern, und, wie ich darüber, den (Bewegungs-)Raum des Pferdes zu begrenzen, Macht gewinnen kann. Und ja, ich sehe, dass mit solchen Ansätzen Pferde punktgenau funktionieren. Aber all das macht mich traurig, denn es hat wirklich nichts mehr mit dem Wörtchen „frei“ zu tun, sondern einmal mehr zählen Ziele mehr als die Pferde. Deshalb lehne ich diese Methoden ab und stelle in meinem Freiraum-Training eine pferdefreundliche Alternative vor.
Mein großer Wunsch ist, etwas mehr für die Verantwortung zu sensibilisieren, bei allen Erwartungen an unser Pferd, nie das zu missbrauchen, was sie in ihrem Wesen ausmacht: nämlich ein Fluchttier zu sein …
Es gibt vieles, das wichtiger ist als Wirksamkeit
Nur weil etwas „gut wirkt“ und uns Ziele erreichen lässt, die angeblich toll und wichtig sind, heißt noch lange nicht, dass es auch wirklich gut für unser Pferd ist. Und es heißt auch nicht, dass es gut für uns selbst ist. Denn wenn wir Methoden oder Wege wählen, mit denen wir gegen unsere persönlichen Werte verstoßen, verletzen wir auch uns selbst. Und egal, auf wen wir hören oder wem wir folgen: Die Verantwortung für unser Tun als Pferdemensch tragen immer wir selbst. Deshalb ist es so wichtig, sich klarzumachen: Was wir bei anderen sehen, ist immer deren Weg. Was anderen wichtig ist, muss nicht auch für uns wichtig sein. Im Gegenteil: Wichtig sind unsere eigenen Werte, wichtig ist unser eigener Weg. Und besonders wichtig ist dabei immer unser Pferd.
Wirksamkeit ist aus meiner Sicht ein überhöhtes Ideal, worunter sehr viele Lebewesen leiden, eben auch wir Menschen. Sollten wir uns nicht gerade im Zusammensein mit unseren Pferden, die wir doch haben, weil wir sie lieben, von Vergleichen, Zielfixierung und Leistungsansprüchen verabschieden, zugunsten von Qualitätszeit und einem nährenden Miteinander?
Lesetipps: Versteh Dein Pferd + Tanias Freiraum-Training
Liebe Tania,
vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Er spricht mir wirklich aus der Seele…
Ich bin auch schon weinend vor meinem Pferd gestanden und hab gejammert, „kannst Du nicht einfach mal normal sein, machen was andere auch machen…“. Sie ist nämlich auch so eine „Nein-Sagerin“.
Es wäre so viel einfacher und ich müsste nicht ständig auch an mir arbeiten und mich hinterfragen…
Aber meine tolle Stute ist genauso richtig wie sie ist und ich bin sehr dankbar. Denn genau weil sie so ist wie sie ist, hat sie mich auf Eure Seite gebracht. „Es geht auch anders…“
Den größten Entwicklungsschritt haben wir gemacht, als es mir gelungen ist, diese „Glaubenssätze“ „du musst auf der Hut sein…“, „die veräppelt dich doch nur…“, „wenn du das durchgehen lässt…“ endlich ablegen konnte (irgendwie hab ich es eh nicht wirklich gelaubt, aber wenn so viele es sagen…).
Als ich anfing, egal was war, auf ihrer Seite zu sein, für sie einzustehen, hat sich ganz viel zum Guten verändert für uns.
Das wollte ich mit Dir teilen und auch Danke sagen.
Herzliche Grüße
Bettina
Ganz herzlichen Dank, liebe Bettina, für Deine Zeilen. „… für sie einzustehen“ – das ist so wunderbar, toll dass Deine Stute das mit Dir erleben kann, es ist nicht allen Pferden vergönnt.
Lieber Gruß,
Tania