– Woran erkennst Du das?
Vor einer Weile schrieb ich bei Facebook darüber, wie wichtig Pausen für Pferde sind, da erschöpfte Pferde nicht lernen können. Daraus entstand eine Diskussion zum Thema „Erschöpfung beim Pferd“. Gar nicht wenige waren der Ansicht, dass wir es bei unseren Freizeitpferden wohl kaum je mit einem erschöpften Pferd zu tun hätten – und das überraschte mich sehr. Ich glaube nämlich nicht, dass das stimmt, im Gegenteil! Lies in diesem Blogbeitrag meine Gedanken dazu.
Ein unbequemes Thema
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen manche Themen ganz weit von sich weisen. Und dann lohnt es sich für mich immer, da ein bisschen genauer hinzuschauen. Klar, sich möglicherweise eingestehen zu müssen, dass das eigene Pferd ein erschöpftes Pferd ist, ist natürlich nicht schön. Für viele ist es einfacher, solche Themen einfach vom Tisch zu wischen, als das eigene Tun zu beleuchten und auch mal zu hinterfragen. Doch genau darum geht in unserer Verantwortung für unser Pferd.
Und mehr noch: An solchen Themen zeigt sich meiner Erfahrung nach oft auch, wie wir mit uns selbst umgehen… Erschöpfung ist aus meiner Sicht ein großes Thema – bei Pferden, aber auch bei uns selbst! Und möglicherweise hindert uns genau das daran, sie bei unserem Pferd wahrzunehmen…
Spür einmal nach:
- Was verstehst Du unter Erschöpfung?
- Und was verbindest Du damit?
- Wie gehst Du bei Dir selbst mit Erschöpfung um?
- Was alles kann zu Erschöpfung führen?
- Und woran könntest Du erkennen, ob Dein eigenes Pferd vielleicht erschöpft ist? Oder Du selbst?
Ursachen für eine Erschöpfung beim Pferd
Die Ursachen für Erschöpfung können vielfältig sein:
- Physische Überforderung – zum Beispiel durch ein zu hartes oder ein unpassendes Training in Bezug auf die körperlichen Voraussetzungen des Pferdes, zu viel Gewicht für das Pferd, Anforderungen, ohne ein entsprechendes Vortraining, ein zu frühes Training bei jungen Pferden und dergleichen mehr.
- Krankheiten oder körperliche Beschwerden – Gesundheitliche Probleme belasten Pferde genau wie sie uns zusetzen und manche brauchen lange, um sich zu erholen. Da Pferde nicht reden können, müssen wir gut auf Anzeichen dafür achten.
- Psychische Überforderung – wie durch zu viel Druck, Stress und Einschüchterung, zu viele Reize, Unberechenbarkeit der Menschen, die mit dem Pferd arbeiten, zu hohe Erwartungen und Ähnliches.
- Unpassende Lebensumstände – ein unpassender Stall, in dem die Grundbedürfnisse des Pferdes nicht erfüllt werden, eine Gruppe, in der sich das Pferd nicht wohlfühlt, zu viele Veränderungen, zu wenig Ruhe und Schlaf, zu wenig Futter und so weiter.
- Unterforderung und Langeweile – zu wenige Möglichkeiten, sich nach Pferdeart zu beschäftigen (fehlende Sozialkontakte, Bewegungsanreize, Futtersuche), Vernachlässigung, zu wenig Beschäftigung.
Ich denke, diese Liste macht deutlich, dass tatsächlich jedes Pferd betroffen sein kann.
Für mich gilt: Ein erschöpftes Pferd braucht Verständnis und oft auch Hilfe (… und das gilt auch für uns). Ändert sich nichts, führt es leider oft direkt in den Burnout.
Anzeichen für Erschöpfung beim Pferd
Zeigen kann sich Erschöpfung ähnlich vielfältig: in kleinen, fast unscheinbaren Dingen, aber auch deutlicher. Hier einige Beispiele:
- Verhaltensveränderungen: Aus einem interessierten Pferd wird ein desinteressiertes, aus einem fröhlichen Pferd ein eher unglücklich wirkendes.
- Kleine Anzeichen, wie vermehrtes Stolpern, Unaufmerksamkeiten, erhöhte Schreckhaftigkeit.
- Eindruck von Unmut, fehlende Motivation und Freude, z.T. auch Nachlassen des Appetits.
- Bewegungsunlust und Verweigerung.
- Leistungsabfall.
- Müdigkeit, Apathie und Depression.
Erschöpfung kann sich typbedingt auch in Gegenwehr ausdrücken (was dann oft als „Widersetzlichkeiten“ bezeichnet wird). Meiner Erfahrung nach werden aber die meisten Pferde eher immer leiser und „unsichtbarer“ (und auch das gilt für viele Menschen).
Erschöpfung ist immer subjektiv
Beim Thema Erschöpfung müssen wir gut aufpassen, nicht die Leistungsansprüche, unter denen wir selbst in unserer Welt leiden, über das Wesen Pferd zu stellen. Es darf hier nicht um unrealistische Ideale gehen und nicht mal immer um das, was als Norm gilt. Entscheidend ist das jeweilige Pferd. Nur weil jemand behauptet, dass „ein Pferd mit fünf alt genug ist, geritten zu werden“ oder „jedes Pferd locker zwei Stunden ausgeritten werden kann und sollte“, heißt das nicht, dass es wahr ist. Jedes Pferd ist anders und in verschiedenen Phasen kann wieder alles anders sein. Deshalb kann auch ein Pferd, mit dem „eigentlich kaum etwas gemacht wird“ und ja, selbst eines, das sein Training brav erfüllt, erschöpft sein (Stichwort „Trageerschöpfung“). Darüber hinaus ist ein Pferd nie nur ein Körper, sondern es hat eine Psyche, eine Geschichte und eine Persönlichkeit. Und dazu kommen dann noch die schon genannten Einflussfaktoren wie Haltung, Umgang, Training und vieles mehr.
Hier siehst Du zwei Fotos von meinem Anthony. Er war in dieser Zeit in tiefer Trauer, da sein engster Freund verstorben war, und zog sich komplett in sich zurück. Er bewegte sich kaum noch, ein Training war nicht möglich. Sehr viele hätten ihm Faulheit unterstellt. Tatsächlich schien ihm aber oft allein das Stehen schon zu viel zu sein. Es dauerte lange und erforderte viel Einfühlungsvermögen, ihm aus dieser Phase wieder herauszuhelfen:
Hör weniger auf andere als auf Dein Pferd und Dich
Ich nehme sehr viel Erschöpfung in der Welt wahr. Erschöpfung erfordert, erst einmal weg von Ansprüchen und Zielen zu gehen und sich mit dem zu befassen, wie es dem betroffenen Lebewesen geht – also unserem Pferd und/oder uns. Je mehr wir dazu bereit sind, desto besser können wir unserem Pferd helfen.
Leider gehen viele, die uns Tipps oder Rat in Bezug auf den Umgang oder das Training mit unserem Pferd geben, von dem aus, was sie selbst mal gelernt haben oder was gerade „Trend“ ist. Dabei fällt nicht nur ganz oft jede Differenzierung weg, es fehlt vielmehr fast immer an Empathie. Was ein Lebewesen braucht, ist immer nur individuell zu erfassen und das gilt auch für Mensch-Pferd-Paare. Deshalb sind oft all die gutgemeinten Tipps und Ratschläge wenig hilfreich.
Bitte achtet und vor allem hört immer gut auf Eure Pferde und auch auf Euch selbst!
Tipps: In meinem Freudekurs geht es darum, ganz in Ruhe zu schauen, wie wir zusammen mit unserem Pferd wieder zu mehr Freude kommen. Dazu gehört auch, Freudekiller zu erkennen. Erschöpfung ist genau so eiin Freudekiller. Zum Thema Verstehen: Versteh Dein Pferd und für ein dem Pferd konsequent angepasstes Training ist mein Freiraum-Training optimal.
Mein Wallach hat Erschöpfung beim Ausritt durch „trabbeln“ angezeigt. Er konnte dann einfach nicht mehr entspannt Schritt gehen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich Erschöpfung darin vermutet habe. Ich dachte zuerst, wieso wird er immer schneller und unruhiger nach einer Weile des Ausrittes. Wenn ich dann abgestiegen bin und mindestens 15 Minuten geführt habe. War es wieder besser. Vielleicht war es Trageerschöpfung oder Rückenschmerzen? Wer weiß. Ich konnte ihm durch Absteigen helfen.
Liebe Anke,
sooo ein wichtiger Kommentar!!! Was Du beschreibst, zeigen sehr viele Pferde, nicht immer genauso, auch hier gibt es Unterschiede. Aber sie drücken genau das aus: dass sie eine Pause brauchen!
Pferdefreundliches Reiten erfordert für mich, die Bereitschaft, immer mal wieder abzusteigen, denn für viele Pferde ist es tatsächlich zu viel, unser Gewicht zu tragen. Wir denken immer noch in Stunden, für manchmal Pferde sind schon 10 Minuten an der Grenze… Hier fehlt noch ganz viel Bewusstsein und ich finde es toll, dass Du so achtsam bist! Da hat Dein Pferd ganz großes Glück mit Dir. 🧡
Ganz herzlich,
Tania
Liebe Tania,
Ein sehr wichtiges Thema eindringlich geschildert. Vorallem Die Fotos von Anthony berühren.
Mein Pferd geht einen Weg, der sehr weit weg ist von allen Normen. Nun wirklich erwachsen, lernt er in sehr kleinen Schritten das „Reitpferd“ sein. Er ist nach jeder Einheit-ca 20 Minuten geführtes reiten- erschöpft, dass er oft eindöst…es ist positive Erschöpfung…er verarbeitet…es geht nicht um körperliche Anstrengung…ich kann 2 Stunden spazieren gehen, dann dreht ern noch paar Gallopprunden auf dem Platz und ist hochzufrieden und präsent. Das Reiten verlangt ihm viel mehr ab…und das trifft sicher nicht nur auf ihn zu…es ist hier nicht die Erschöpfung im negativen Sinne, aber die Beobachtung, dass unterschiedliche Anforderungen unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Pferde haben…wir bleiben bei den kleinen Schritten auf unserem langen Weg und wir schauen genau hin, ob die Erschöpfung Widerstand und Stress bedeutet oder ein “ oh spannend, gut gemacht, aber ich bin sooo müde“
Lea&Atlas
Liebe Lea,
wie ich mich freue von Euch zu lesen! Und wie wunderbar Du beschreibst, was „Ausbildung“ für ein Pferd bedeutet – nämlich ganz, ganz viel zu verarbeiten! Wenn alle so einfühlsam und verständnisvoll wären, hätten wir eine andere Pferdewelt!
Ganz lieben Dank fürs Teilen,
Tania