Das erste Aufsteigen

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Jungpferdausbildung mit Tania

Als ich meinen Anthony bekam, war er ein noch roher Dreijähriger, denn es war schon immer mein Wunsch gewesen, einmal ein Pferd von Beginn an selbst ausbilden zu können. Als er vier Jahre alt war, begann ich langsam damit, ans Reiten zu denken, und erarbeitete mir ganz behutsam das erste Aufsteigen. Ich bereitete das Ganze in vielen kleinen Schritten vor, so dass das tatsächliche Aufsteigen kaum noch überraschend für ihn kam und zu einem wunderschönen Erlebnis für uns beide wurde. Erst später erfuhr ich, wie dieses so wichtige und prägende Ereignis leider herkömmlicherweise aussieht …

Als ich mitbekam, dass es für viele vollkommen normal ist, dass ein junges Pferd in einer Box von zwei, drei Leuten festgehalten wird, damit jemand auf seinen Rücken steigen kann, kamen mir, ehrlich gesagt, die Tränen. Warum wird etwas, das doch den Grundstein für das ganze Leben als Reitpferd legt, so brutal gemacht, wo es doch ganz anders gehen kann? Warum gibt man einem Tier, das man viele, viele Jahre reiten will, zu Beginn nicht die Zeit, die es braucht, um ein freiwilliges Ja als Einladung zu bekommen, sondern erzwingt das Aufsteigen? Ich werde es nie verstehen. Das Argument „Zeitdruck“ lasse ich nicht gelten, denn auch wenn es vielleicht zunächst länger dauert, so spart man sich durch ein besonnenes und pferdegerechtes Umgehen später sehr viel Ärger und das macht die Sache dreimal wieder wett.

In aller Ruhe und voller Vertrauen

Als ich mich das erste Mal auf Anthonys Rücken setzte, war ich mit ihm allein in der Halle. Er trug nur ein Halfter mit Zügeln und er blieb von sich aus vollkommen ruhig und gelassen an der Aufstieghilfe stehen, während ich sanft auf seinen Rücken glitt. Wer schon ein bisschen länger bei uns mitliest, weiß, dass Anthony alles andere als ein einfaches Pferd ist, sondern ein hochsensibles Tier mit einem ausgeprägten eigenen Willen. Ich hatte es also nicht „besonders einfach“, sondern ich habe es einfach gut vorbereitet.

Mit ein bisschen Zeit, Geduld, Einfühlungsvermögen  und der Bereitschaft, in kleinen Schritten vorzugehen, kann jedes erste Aufsteigen zu einem schönen und guten Erlebnis für ein Pferd werden. Auch das Aufsteigen für Pferde, die bereits schlechte Erfahrungen gemacht, kann so neu entwickelt werden. Für mich ist eine positive Erstbesteigung eine ganz entscheidende Grundvoraussetzung für die weitere Ausbildung zum Reitpferd und ein entspanntes Aufsteigen ganz generell ein Muss für das pferdefreundliche Reiten

Praxisbeispiel: Das erste Aufsteigen mit Mucki

Da ich zur Zeit den fünfjährigen Norwegerwallach „Mucki“ und seine Besitzerin Daniela Baars ein bisschen bei der Ausbildung unterstützen darf, kann ich Euch hier einmal ein kleines Video davon zeigen, was ich als eine pferdefreundliche „Erstbesteigung“ empfinde und wie wir genau vorgegangen sind. Zu diesem Zeitpunkt hatte Daniela schon folgende Punkte vorgearbeitet: 

  • Mucki war vollkommen vertraut mit Berührungen am gesamten Körper und Rücken.
  • Er wurde behutsam an ein Reitpad gewöhnt und auch, damit zu laufen. 
  • Er lernte Gewicht auf dem Rücken kennen und zeigte dabei keinen Stress oder Unsicherheiten. 
  • Daniela brachte ihm das selbstständige Herantreten an eine Aufstieghilfe bei (was inzwischen eine seiner absoluten Lieblingsübungen ist, das macht er frei und sogar vom Gras weg!). 
  • Er war daran gewöhnt, dass Daniela auf der Aufstieghilfe steht und von dort aus seinen Rücken berührt. 

Diese Schritte sind aus meiner Sicht nötig, bevor man überhaupt ans erste Aufsteigen denken kann. So würde ich auch bei Pferden vorgehen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben und Angst oder Unruhe zeigen, wenn man aufsteigen möchte. Jeder einzelne dieser Schritte sollte ebenfalls mit Geduld und Einfühlungsvermögen vermittelt werden. Das  Tempo sollte immer das Pferd vorgeben – ein Pferd lernt schneller, ein anderes braucht länger. Als bei Mucki all diese Punkte erfüllt waren, schauten Daniela und ich, ob er auch einverstanden damit ist, wenn ich mich auf seinen Rücken setze – hier könnt Ihr das kleine Video dazu sehen (Link führt zu Youtube): 

Und hier gibt es einen Beitrag zu den ersten Schritten unter mir. Und noch ein Lesetipp: Mit dem Herzen voran.

(Klick aufs Bild führt zu Youtube)

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