Füttern aus der Hand ohne Stress

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Positive Verstärkung in der Praxis

Das Füttern aus der Hand ist für die Arbeit mit der positiven Verstärkung im Training und Umgang in den meisten Fällen der wirkungsvollste Weg, Deinem Pferd deutlich zu sagen: „Das, was Du gerade gemacht hast, war super!“ Leider gilt das Füttern aus der Hand als Quelle von Problemen und wird deshalb von vielen kategorisch abgelehnt. Wie schade!

Ein aufdringlicher Taschenkriecher oder ein nach der Hand schnappendes Pferd ist natürlich keine Freude. Aber hier zeigt sich einmal mehr, dass wir erst einmal verstehen müssen, warum ein Pferd sich auf eine gewisse Weise verhält, um zu angemessenen und hilfreichen Lösungen zu kommen. Wenn wir einfach grundsätzlich nicht aus der Hand füttern, wird das zu Grunde liegende Thema nur verschoben, aber nicht gelöst. Wir verschenken darüber hinaus eine tolle Chance, das Miteinander pferdefreundlich zu gestalten.

Gier bedeutet Stress

Das Wichtigste, was es zu verstehen gilt: Ein gieriges Pferd ist ein gestresstes Pferd! Und genau in dieser Erkenntnis liegen auch entscheidende Lösungsansätze.

Die meisten Pferde lieben Futter und viele Pferde, die Futter lieben, neigen auch zu Übergewicht. Übergewichtige Pferde werden wiederum eher knapp gefüttert. Dadurch kommt es bei vielen Pferden zu langen Futterpausen. Leider erhalten auch immer mehr Pferde einfach zu wenig Raufutter. Die Folge davon sind hungrige Pferde und das macht die Sache im Training und Miteinander nicht so einfach. Hunger löst zum Teil großen Stress aus, vor allem bei Tieren, die von ihrer Natur her 16-17 Stunden mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt sind.

Was passiert nun, wenn wir einem hungrigen Pferd beim Clickern kleine Möhrenstücken oder winzige Leckerlis geben? Es kann davon so begeistert sein, dass es sich mit den Mini-Portionen vielleicht nicht wirklich zufriedengeben wird. Das ist ein bisschen so, als dürften wir in einer strengen Diät einmal ein Eckchen von einem Stück Schokolade abbeißen …

Wenn wir mit diesem Wissen im Hinterkopf die vermeintliche „Gier“ unserer Pferde betrachten, wird klar, dass wir es hier wieder einmal nicht mit einer „Unart“ oder „Frechheit“ zu tun haben, sondern mit einer Form von Not (je nach Einzelfall mehr oder weniger stark).

So wird das Füttern aus der Hand entspannter

Wir müssen die Situation also erst einmal entstressen:

  • Ganz grundsätzlich sollte bei einem Pferd, das, wenn Futter ins Spiel kommt, sehr gierig wird, die allgemeine Fütterung überprüft werden. Pferdemägen brauchen ausreichend Raufutter. Wenn Dein Pferd also sehr gierig ist, frage Dich, ob es wirklich genug zu fressen bekommt, und sorge gegebenenfalls für Abhilfe.
  • Füttere Dein Pferd vor dem Training. Ja, Du liest richtig: Lass Dein Pferd einfach während des Putzens etwas Heu fressen. Hier geht es nicht darum, kiloweise Heu zu füttern, sondern um eine kleine Menge. Erstens sorgst Du damit für eine gute Grundstimmung und Dein Pferd dürfte dann im Miteinander schon mal deutlich weniger gierig sein.
  • Beginne bei sehr gierigen Pferden dann nicht mit Mini-Portionen, denn das erhöht bei eh schon hungrigen Pferden die Gier. Füttere stattdessen zunächst großzügig, und zwar mit einem nicht ganz so attraktiven Futter. Du kannst hier sehr gut kleine Heumengen nutzen (und nein, das macht nicht dick!) oder geeignete Luzerne-, Heu- oder Gras-Pellets (also solche, die nicht eingeweicht werden müssen, hier bitte Vorsicht bei Pferden, die zu Schlundverstopfungen neigen). Gerade auch gezielt zwischendurch immer etwas Heu zu füttern, kann die Lage schnell entspannen.

Füttere auch für „nichts“!

Ein weiterer, wichtiger Punkt: Wenn es Futter wirklich immer nur nach einem Click gibt, bekommt der Click eine ungeheure Bedeutung und Macht. Einige Pferde probieren dann einfach alles, um uns zum Clicken zu bringen. Und das bedeutet viel Stress und Anspannung. Hier gilt es immer wieder neu zu schauen, dass die Motivation hoch ist, aber nicht zu hoch wird.

Es heißt oft, dass auf einen Click immer Futter folgen muss. Das dient vor allem dem Erlernen der Bedeutung des Clickers und der Förderung der Motivation. Viele Pferde begreifen die Bedeutung des Clicks aber so schnell, dass sie zu aufgeregt werden. In diesem Fall ist es sinnvoll, die Attraktivität des Clickers nach Bedarf etwas zu variieren und anzupassen. Allein der Tipp, statt Leckerlis (auch) kleine Portionen Heu zu füttern, nimmt oft schon einiges an Gier aus dem Spiel. Das Heu ist einfach für die meisten Pferde nicht ganz so attraktiv wie Möhren oder Leckerlis und das Kauen des Heus braucht auch ein bisschen Zeit. Beides entspannt.

Weiterhin sollten wir nicht nur dann Futter geben, wenn das Pferd etwas Tolles gemacht hat, wenn es sich dadurch zu sehr aufregt. Bei solchen Pferden ist es sinnvoll, dass es auch „Futter für nichts“ bekommt, also einfach zwischendurch. Wenn wir insgesamt großzügiger mit dem Futter sind, also keinen Mangel entstehen lassen, und auch nicht nur für Leistung füttern, wird das zu deutlich mehr Entspannung führen. Hier kann man dann auch beim Fressen hin und wieder clickern, einfach damit das Geräusch zwar mit etwas Angenehmen (Futter und Fressen), nicht aber mit Stress verbunden ist. Wird das Click-Geräusch irgendwann zu wenig attraktiv, kannst Du es wieder aufladen, indem Du leckere Sachen wählst und das Futter wieder etwas rarer einsetzt.

Es gilt: Mit den Elementen „Menge“ und „Attraktivität“ des Futters, haben wir gleichsam zwei Schrauben, an denen wir drehen können, damit das Miteinander entspannt und freudvoll ist. Passe sie achtsam auf Dein Pferd und die jeweilige Situation an.

Achte auf eine gute Futtererziehung

Neben diesen Grundlagen ist eine sinnvolle Futterentziehung entscheidend. Futtererziehung heißt nicht, ein Pferd zu strafen oder gar aggressiv zu werden, wenn es übereifrig reagiert oder auch zu schnappen beginnt. Damit kann das Problem sogar deutlich größer werden! Hier findest Du meine Tipps für eine entspannte Futtererziehung.

Lesetipp: Der Clickerkurs von „Wege zum Pferd“

 

Foto von Horst Streitferdt

8 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Infos. Mein Pferd neigt auch dazu, hektisch zu werden und mir alles mögliche anzubieten, um ein Leckerli zu bekommen. Jetzt kann ich versuchen, ob es mit deinen Anregungen besser wird.

    Antworten
    • Super, berichte gerne mal, wie es sich entwickelt. Und es folgen ja auch noch weitere Tipps.
      Herzlich,
      Tania

      Antworten
  2. Ich habe lernen dürfen, dass konsequentes Verhalten meinerseits das Zusammenarbeiten enorm erleichtert. Immer wieder fragt das Pferd, ob die Regeln von gestern heute auch noch gelten, wenn ich unaufmerksam bin und was durchgehen lasse, kommt bald die nächste Frage, wenn ich ganz präsent bin und sofort klare Ansage mache, sagt das Pferd: alles klar, ich erinnere mich!
    Das gilt für Futterlob, persönlichen Raum und Aufforderungen, die ignoriert werden.

    Ich tu dem Pferd was Gutes, wenn es weiß, wie ich reagieren werde. Es gibt ihm Sicherheit und erspart uns ständiges Nachfragen.

    Antworten
    • Ja, das ist auch meine Erfahrung: Sie fragen einfach gerne mal nach und wir sollten dann nicht genervt oder gereizt reagieren, sondern einfach beständig wiederholen, dass die Regel auch heute noch gilt 🙂 Das ist einfach Pferdeart.
      Herzlich,
      Tania

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  3. Danke dass du das Thema Grundfutter und Hunger ansprichst. Ich glaube, dass dies besonders bei Rassen, die als Robustpferde gelten, ein extrem wichtiges Thema ist, da gerade Pferde dieser Rassen häufig deutlich eingeschränkten Zugang zu (häufig für diese Pferde zu energiereichem) Rauhfutter haben.

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    • Ja, seitdem das Thema Gewicht auf die Agenda gekommen ist, nimmt es leider, wie so oft, auch wieder extreme Auswüchse an. Was Du beschreibst, sehe ich auch immer wieder, leider.
      Herzlich,
      Tania

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  4. Danke liebe Tania fuer diesen Artikel.
    Habe mir schon oft Gedanken gemacht, ueber hungrige Pferde und Clickertraining.
    Das ist der Grund, weswegen ich das Clickern hier nicht vielen Pferdeleuten zeige und empfehle.
    Hier hungern naemlich fast alle Pferde und damit ist die Basis fuer stressfrei Clickern selten gegeben.
    Dass es in Deutschland oft auch solche Raufutterknappen Haltungsformen gibt, ist schon erschreckend.
    Auch fuer die leichtfuttrigen Robustpferde gibt es Moeglichkeiten, immer Raufutter zur Verfuegung zu stellen.
    Aber das ist aufwaendig und somit den Stallbetreibern oft zu kompliziert.
    Aber da faengt es an, und das bemerken etliche Pferdebesis gar nicht, wenn sie ihr Pferd einmal am Tag sehen

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