Ein kritischer Blick
Das „Kopf tief“ gehörte zu den ersten „alternativen“ Übungen, die ich kennenlernte, als ich mich außerhalb des herkömmlichen Reitunterrichts umschaute. Die Grundidee ist dabei Folgende: Pferde, die dösen oder grasen, halten ihren Kopf tief, während aufgeregte oder ängstliche Pferde den Kopf sehr hoch tragen. Bringt man dem Pferd nun bei, auf eine Berührung oder ein Wort hin, den Kopf tief zu halten, so kann man damit – im Idealfall – eine entspannte Stimmung schaffen.
Gut gedacht, aber leider oft schlecht gemacht
Die Übung „Kopf tief“ ist ein exzellentes Beispiel dafür, wie eine eigentlich gute Sache ins Gegenteil kippen kann, wenn sie
- nicht achtsam genug ausgeführt wird,
- mit einem Halbwissen angewendet wird,
- aus den falschen Motiven heraus gefordert wird und
- nur noch das Zielbild beachtet wird, aber nicht der Weg dorthin.
Entspannt die Übung wirklich?
Wenn wir eine Übung machen, durch die sich unser Pferd entspannen soll, ist es wichtig, dass sie auch wirklich entspannend wirkt. Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht, denn dafür müssen wir überhaupt erst einmal erkennen und auch spüren können, ob unser Pferd tatsächlich entspannt ist oder eben nicht. Viele halten ihr Pferd für entspannt, obwohl es das nicht ist, nur weil es vielleicht still steht, nicht in der Gegend herumschaut oder eben den Kopf tief hält. Es gibt aber sehr viele Pferde, die Stress und Anspannung in sich halten. Sie stehen zwar still, sind aber innerlich angespannt. Sie schauen nicht herum, sind aber denn noch unruhig. Bei ihnen bedeutet oft das Kopfsenken in Anwesenheit eines Menschen das ganze Gegenteil von Entspannung, was uns gleich zum nächsten Punkt bringt:
Verhalten richtig einorden
Pferdeverhalten deuten wir oft 1 zu 1, nach dem Motto „Wenn das Pferd XYZ macht, dann bedeutet das …“. Tatsächlich ist Pferdeverhalten aber viel komplexer. Ein und dasselbe Verhalten kann ganz unterschiedliche Bedeutungen haben, manchmal sogar vollkommen gegensätzliche! So kann das Senken des Kopfes ein Zeichen von Entspannung sein. Es gehört aber gleichzeitig zu den sogenannten Beschwichtigungssignalen, die bei Unsicherheit, Stress und Angst gezeigt werden. Pferde, die mit reichlich Druck gearbeitet werden oder die durch einen ungeschickten Umgang mit Futterlob sehr aufgeregt sind, senken oft schnell den Kopf, heben ihn aber auch schnell wieder an. Genau das kann das typische Beschwichtigungssignal sein oder auch der verzweifelte Versuch, das nächste Leckerli zu bekommen!
Über die eigene Motivation
Und genau hier spielt oft der dritte Punkt hinein. Das „Kopf tief“ nutzen viele (unbewusst, oft aber sogar gewollt) auch als Gehorsamkeitsübung. Sie wollen damit zeigen, wie gut es bei ihnen klappt und wie entspannt das eigene Pferd ist. Tatsächlich verkaufen etliche Trainer*innen das „Kopf tief“ als tolle Sache, weil man so das Pferd quasi auf Knopfdruck (scheinbar!) „entspannen lassen kann“. Manch ein etwas übereifriger Clicker-Mensch zeigt auch gern, wie zuverlässig das Pferd den Kopf senken kann, ohne zu merken, dass es das Pferd ist, dass in diesem Fall die Übung initiiert und dabei genauso wenig entspannt ist wie das Automaten-Pferd…
Der Weg ist das Ziel
Damit sind wir beim vierten und vielleicht wichtigsten Punkt: Es kommt – wie bei allen Übungen und Lektionen! – beim „Kopf tief“ nicht allein auf das Ziel an, also nicht nur auf das Senken des Kopfes. Entscheidend ist dabei das „Wie“, also die Stimmung, mit der das Pferd den Kopf senkt. Bringen wir ein Pferd mit Druck zum Senken des Kopfes und lernt es mit Druck, dass es auf ein bestimmtes Zeichen hin den Kopf zu senken hat, da sonst etwas Unangenehmes folgt, kann sich nicht entspannen. Es reagiert nur mechanisch oder im Falle eine Beschwichtigungsgeste instinktiv. Ein Pferd, das nur das nächste Leckerli im Kopf hat, wird sich eher mehr ereifern, als dass es zur Ruhe kommt. Die Übung ist in solchen Fällen eine Farce und bewirkt das Gegenteil von dem, wofür sie ursprünglich gedacht ist.
Wir müssen also lernen, dass wir beim „Kopf tief“ (und eben auch generell bei Übungen und Lektionen) nicht nur auf das Ziel schauen, sondern dass es darum geht, von Beginn an die Zielsetzung in die ganze Übung einfließen zu lassen. Anfangen müssen wir da meist bei uns selbst. Das schaffen wir, indem wir tief durchatmen, unser „Wollen“ (des Kopfsenkens) loslassen und unser Pferd zu einem entspannten kleinen Wohlfühlmoment einladen. Ob es ihn annimmt, liegt bei ihm, und lässt sich nicht erzwingen, denn dann wäre es ein Befehl und der widerspricht dem Ziel der Entspannung.
Beispiel: Aramis
Mein Aramis wurde recht schnell nervös, wenn ich etwas ganz Bestimmtes im Kopf hatte. Er wollte immer alles richtig machen. Gerade bei der Übung „Kopf tief“ lernte ich deshalb von ihm, selbst nicht an das zu denken, was ich erreichen wollte, sondern bewusst in die Stimmung zu kommen, um die es ging. Das heißt, ich lasse los, atme bewusst langsam aus und werde innerlich weich und ruhig. Nur wenn mir das gelang, wurde es bei Aramis ein gutes „Kopf tief“, denn darauf ließ er sich gerne ein. Jedes Wollen quittierte er mit Anspannung.
Die folgenden drei Bilder zeigen, wie er auf das Abstreichen seines Beines hin (eines von vielen möglichen Signalen, die man für diese Übung nutzen kann) den Kopf senkt. Noch ein Hinweis: Auf den Fotos halte ich den Führstrick recht kurz (auch wenn ich nicht dran ziehe); heute achte ich darauf, ihn deutlich durchhängen zu lassen oder die Übung am besten gleich frei zu machen:
Es ist gut zu sehen, dass Aramis ruhig steht, sein Schweif entspannt hängt, er nicht mit dem Bein reagiert, an dem die Gerte entlangstreicht. Sein Blick ist weich, die Mimik entspannt. So bewirkt die Übung für uns beide, was sie soll: Wir genießen einen gemeinsamen Moment der Entspannung.
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