Beschwichtigungssignale unter Pferden

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Gelebte Höflichkeit

Pferde besser zu verstehen, ist ja eines meiner Lieblingsthemen und vielleicht hast Du schon meinen ersten Blogbeitrag zum Thema „Beschwichtigung“ gelesen? Dieser sorgte für viel Resonanz. Da es hierzu noch viele Fragen zur Interpretation gibt und das Thema komplex und sehr spannend ist, möchte ich ein bisschen genauer darauf eingehen. In diesem Beitrag erfährst Du etwas mehr darüber, wie Pferde sie untereinander einsetzen und was Beschwichtigungssignale eigentlich bedeuten. Und hier geht es um Beschwichtigungszeichen im Miteinander mit uns.

Tipps: Zum Thema Beschwichtigungszeichen empfehle ich das Buch „Language Signs and Calming Signals of Horses“ von Rachaël Draaisma (allerdings nur auf Englisch), die dieses Thema in einer umfassenden Studie erforscht hat. Sie hat hierzu 200 Videos von Menschen gehaltenen Pferden analysiert und jedes Kommunikationssignal erfasst. Gefilmt wurden alle möglichen Situationen, Pferde in der Gruppe, im Umgang und im Training. Nur Verhaltensweisen, die mindestens 35x zu sehen waren, wurden im Buch aufgenommen. Damit ist dieses Werk bisher wohl noch immer die umfassendste Dokumentation dieser Art. Wenn Du Englisch kannst, findest Du auf Youtube auch noch ein interessantes Video, in dem Rachel Bedingfield von „Connection Training“ zusammen mit Rachaël Draaisma einige Calming-Signals an einem Beispiel erklären.

Und ich biete regelmäßig ein Webinar zum Thema „Beschwichtigung und Stress“ an, in dem wir dieses hoch interessante und wichtige Thema gemeinsam vertiefen – mach mit!

Beschwichtigungssignale sind Teil der natürlichen Kommunikation

Beim Thema „Beschwichtigung“ haben viele gleich bestimmte Assoziationen im Kopf, denken die meisten doch vor allem an das Unterwerfungsverhalten bei Hunden. Ich möchte dazu anregen, diese Interpretation einmal zur Seite zu schieben. Beschwichtigungssignale sind ein natürlicher Teil der sozialen Kommunikation von Pferden und keineswegs nur eine Unterwerfungsgeste. Sie sind allen Pferden angeboren und schon bei Fohlen zu sehen, die nur wenige Tage alt sind (wie in diesem Video, das eine Begegnung zweier wildlebender Fohlen zeigt, gleich am Anfang gut zu sehen ist). Die ausgesprochen vielfältigen Signale werden anderen Pferden gegenüber gezeigt, aber auch anderen Lebewesen und sogar Gegenständen gegenüber. Sie scheinen also eine große Bedeutung zu haben – nur welche ist das?

Die Ansicht der Forschung zu diesem Thema weist uns wieder einmal auf die sozialen Kompetenzen von Pferden hin, denn:

 Beschwichtigungssignale dienen Pferden dazu, das Miteinander möglichst harmonisch zu gestalten 
und gute Beziehungen zu anderen Pferden zu unterhalten.

Sich das klarzumachen, hilft dabei, Beschwichtigungssignale nicht automatisch mit Stress gleichzusetzen und ein schlechtes Gewissen zu bekommen oder vorschnelle Schlüsse zu ziehen, wenn das eigene Pferd sie zeigt. Fühle Dich vielmehr motiviert, immer anhand der Gesamtsituation achtsam herauszufinden, worum es eigentlich gerade wirklich geht.

Höflichkeit sorgt für ein gutes Miteinander

Im natürlichen Verhalten von Pferden in einer funktionierenden Herde können wir sehr viele, oft ganz feine Zeichen von Beschwichtigung oder Höflichkeit erkennen. Das jeweilige Pferd bringt damit zum Ausdruck, dass es nichts Böses vorhat und auch keine Auseinandersetzung sucht. Oder anders gesagt:

Beschwichtigungssignale unter Pferden sind ein Ausdruck von Höflichkeit
und fördern ein harmonisches Miteinander.

Das ist für mich der wichtigste Punkt: Beschwichtigung ist für Pferde gelebte Höflichkeit. Sie sorgt dafür, dass Konflikte und Auseinandersetzungen vermieden werden. Das Zusammenleben aller wird auf diese Weise harmonischer und vor allem auch sicherer. Im Notfall muss eine Pferdeherde ja als Ganzes reagieren können und das erfordert ein hohes Maß an verlässlichem Miteinander.

Beispiel – Beschwichtigung im Spiel

Zur Veranschaulichung ein Beispiel, das Du vielleicht auch selbst bei Deinem Pferd oder in seiner Herde einmal beobachten kannst: Im funktionierenden Spiel zwischen zwei Pferden lassen sich ganz wunderbar viele der kleinen Beschwichtigungszeichen erkennen, die in der Studie benannt werden. Mit ihnen sorgen die Spielpartner dafür, dass es nicht zu ernst wird. Wird ein Spiel aggressiv, fehlen sie oft.

Hier seht Ihr Mucki (links) und Vilijo (rechts) beim freundschaftlichen Mäulchenspiel.

Beschwichtigungssignale

Auf dem folgenden Foto könnt ihr nun ein zauberhaftes Beispiel einer kleinen Beschwichtigungsgeste von Mucki sehen. Er senkt den Kopf und wendet ihn von Vilijo ab. Die Ohren stehen seitlich und fast parallel, der Blick ist weich, die Augenbraue leicht angehoben:

Beschwichtigungssignale

Es handelt sich hier nicht um Unterwerfung. Dieses Zeichen erfolgt von Mucki ohne Stress oder Not. Es dient einfach nur dem Erhalt eines fröhlichen Spiels mit seinem Kumpel. Und es zeigt Wirkung: Auf dem nächsten Foto kaut Vilijo, lässt also etwas Anspannung los, die aber nicht besonders stark war, wie an seinem weichen und freundlichen Gesichtsausdruck zu sehen ist. Ob nun nötig oder nicht, auf jeden Fall ist so sichergestellt, dass das tolle Spiel ohne Ärger und ohne ernster zu werden, freundschaftlich weitergehen kann.

Reaktion im Spiel

Dieses Beispiel zeigt, dass Beschwichtigung nicht grundsätzlich etwas Schlimmes ist oder dass sich das Pferd dafür in einem gestressten Zustand befinden muss. Im natürlichen Miteinander ist es für Pferde ein ganz normaler Teil der Kommunikation.

… damit aus dem Spiel nicht ernst wird

Hier noch ein weiteres Beispiel von zwei anderen Pferden beim Spielen.

Zwischen Skjöran (links) und Jeromé (rechts) geht es etwas heftiger zu als bei Mucki und Vilijo. Skjöran ist der jüngere von den beiden und Chef der Herde. Jeromé ist nicht mehr der Jüngste, hält aber tapfer mit, kommt aber irgendwann immer wieder an seine Grenzen. Auch hier lassen sich Signale sehen, mit denen Jeromé verhindern möchte, dass das Spiel zu heftig wird:

Jeromé wendet sich zur Seite, nimmt den Kopf tiefer, die Ohren werden seitlich gehalten und er streckt leckend die Zunge heraus. Er ist in dieser Situation etwas gestresster, als es Mucki in der Szene oben war. Auch sein Signal hat Wirkung: Skjöran hält sichtbar inne und nimmt erstmal den Druck raus. Nun können beide neu ansetzen und das Spiel sanfter gestalten. Lässt sich Skjöran darauf nicht ein, sondern wird wieder heftiger, kann Jeromé erneut versuchen, die Stimmung zu beruhigen oder wird irgendwann weggehen, um das Spiel zu beenden.

Anregung: Nimm Dir öfter mal die Zeit, Pferde miteinander zu beobachten und schau, ob Du ähnliche Verhaltensweisen entdecken kannst. Auffällig ist, dass in Gruppen, die eher achtlos von Menschen zusammengestellt werden, solche feinen Signale seltener zu sehen sind, dafür aber mehr Aggressionen.

Beschwichtigungssignale verstehen hilft im Umgang

Pferde kommunizieren auch mit uns auf ihre natürliche Weise (zumindest versuchen sie es). Wenn wir auf diesem Hintergrund einmal überlegen, wie oft Pferden viele ihrer Ausdrucksmöglichkeiten durch Zubehör genommen werden und dass sie häufig sogar dafür bestraft werden, so wird schnell klar wie oft wir ihnen damit Unrecht tun. Und wie viel davon wir erst gar nicht mitbekommen und entsprechend nicht darauf reagieren …

Für mich gilt: Je besser wir unser Pferd verstehen, desto pferdefreundlicher können wir mit ihm umgehen. Es gibt zunehmend so viele spannende Erkenntnisse über Pferdeverhalten, die ein ganz anderes Bild von Pferden zeigen, als es herkömmlicherweise der Fall ist. Und genau das kann uns sehr dabei helfen, noch viel pferdefreundlicher zu handeln.

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