Beschwichtigungszeichen im Umgang und Training

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

… und was sie bedeuten

Nachdem ich erstmals hier im Blog etwas zum Thema „Beschwichtigung“ schrieb, bekam ich darauf viele Rückmeldungen und Fragen. Deshalb habe ich bereits etwas mehr über die Funktion von Beschwichtigungssignalen in der natürlichen Kommunikation von Pferden geschrieben. Und in diesem Blogbeitrag geht es nun um die Beschwichtigungszeichen, die wir im Umgang und Training sehen, und wie wir damit gut umgehen können.

Quelle: Zum Thema Beschwichtigungszeichen empfehle ich das Buch „Language Signs and Calming Signals of Horses“ von Rachaël Draaisma (nur auf Englisch).

Tipp: Ich biete regelmäßig ein Webinar zum Thema „Beschwichtigung und Stress“ an, in dem wir dieses hoch interessante und wichtige Thema gemeinsam vertiefen – mach mit!

Beschwichtigungszeichen im Zusammensein mit uns

Pferde kommunizieren mit sehr vielen verschiedenen Signalen und eben auch über Beschwichtigungszeichen mit uns. Einige davon sind deutlich wahrnehmbar, wie zum Beispiel das Weggehen, Abwenden oder Senken des Kopfes oder ein häufiges Augenzwinkern. Andere Zeichen sind sehr subtil, wie z.B. kleinste Veränderungen der Ohrenhaltung oder minimale Veränderungen in Bezug auf die Körperposition. Mit solchen Signalen sprechen Pferde eigentlich ständig mit uns. Leider interpretieren wir das Verhalten von Pferden oft falsch, weil wir es vor allem aus unserer persönlichen (Menschen-)Sicht heraus und/oder auf der Grundlage unserer Erwartungen betrachten. In der Folge werden dann leider natürliche Kommunikationszeichen, wie Beschwichtigungszeichen, von Pferden vorschnell als „Ungehorsam“ oder „Unart“ gesehen, obwohl das genaue Gegenteil der Fall sein kann!

Der Begriff „Beschwichtigung“ ist nämlich etwas irreführend. Beschwichtigung lässt uns an Unterwerfung denken, aber Pferden geht es vielmehr darum, Beziehungen (zu anderen Pferden oder zu uns) immer möglichst angenehm zu gestalten. Oder anders gesagt: Es geht ganz oft um Höflichkeit.

Unter Pferden gehören Beschwichtigungszeichen sozusagen zum guten Ton. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil einer harmonischen Beziehungspflege untereinander und dienen dazu, Konflikte zu vermeiden oder zu lösen. Wenn wir mit diesem Wissen auf das Verhalten von Pferden schauen, sehen wir manches plötzlich ganz anders. Dazu ein Beispiel von meinem Anthony und mir:

Mein Pferd ist höflich!

Wenn ich Anthony auf der Weide oder auf dem Auslauf rufe, kommt er nie direkt auf mich zu, sondern er wendet immer erst etwas ab und macht einen Bogen, wie hier gut zu sehen ist:

Beschwichtigungszeichen als Höflichkeit

Genau dieses Verhalten beschreibt Rachaël Draaisma als eine der vielen Höflichkeitsgesten, mit der ein Pferd so etwas ausdrückt, wie: „Ich bin ganz nett und nähere mich behutsam.“ Ein anderes Pferd würde das auch genauso verstehen, während ich für diesen Augenöffner lange brauchte… Ehrlich gesagt war ich tendenziell enttäuscht und manchmal auch genervt, wollte ich doch so gerne, dass er begeistert und schnurstracks auf mich zukommt! Wie anders bewerte ich Anthony nun, wenn er sich so verhält!

Je intensiver ich mich mit dieser Art der Kommunikation von Pferden befasse, desto mehr sehe ich, dass die wenigsten von uns erkennen und würdigen, wie höflich Pferde natürlicherweise sind. Da wir die Zeichen nicht wahrnehmen oder missinterpretieren, reagieren wir unsererseits (unbewusst) oft ganz schön rüde und unhöflich. Tja, und da es meist so aus dem Wald zurückschallt, wie man es hineinruft, hören viele Pferde nach und nach damit auf, uns gegenüber höflich zu sein. Sie kommen dann ungefragt zu nah, rempeln uns auch mal an, was wir wiederum als ungezogen oder übergriffig empfinden (und bestrafen). Genau das ist aber hausgemacht!

Auch bei Stress versuchen Pferde, die Stimmung zu verbessern

Mit verschiedenen Beschwichtigungszeichen versuchen Pferde also, das Miteinander mit uns im Umgang und Training aktiv positiv zu gestalten. Darüber hinaus können sie aber auch Unsicherheit und Stress ausdrücken. Hier gilt:

Je druckbasierter Umgang und Training
sind, desto mehr Beschwichtigungssignale
zeigen Pferde – zumindest wenn sie die
Möglichkeit dazu haben.

Tatsächlich werden nämlich viele Beschwichtigungszeichen von Pferden von uns unterdrückt oder gemaßregelt.

  • Ein Wegdrehen des Kopfes wird korrigiert, schließlich soll sich das Pferd doch „auf uns konzentrieren“.
  • Ein Pferd, das versucht, Abstand zwischen sich und einem gruseligen Objekt oder einem wütenden Menschen zu bringen, soll lernen, „gefälligst still zu stehen oder bei uns zu bleiben“. Ein Pferd, das eine gelernte Übung anbietet oder ein Späßchen macht, um einen gereizten Menschen zu besänftigen oder einen Telefonierenden für sich zu interessieren, wird dafür als übereifrig oder frech gerügt…

Und das sind nur einige Beispiele.

Alles nur Vermenschlichung?

Aus meiner Sicht ist es wichtig zu verstehen, dass Beschwichtigungszeichen ein ganz natürlicher Versuch von Pferden sind, für eine gute oder zumindest eine bessere Stimmung zu sorgen.

Dass die Stimmung im Umgang und Training für Pferde so wichtig sein soll, wird leider oft als „Vermenschlichung“ abgetan. Ich denke, falscher kann man kaum liegen, denn hier geht es um etwas, das Pferde in ihrem natürlichen Wesen ausmacht. Für Herdentiere hängt das Überleben in der freien Wildbahn davon ab, wie gut eine Herde als Gemeinschaft funktioniert, es geht also um ein existentielles Thema. Sich das bewusst zu machen, ist ein echter Schlüssel dafür, unser Pferd besser zu verstehen und dafür sorgen zu können, dass es sich mit uns wohlfühlt.

Beachte: Je belastender die Situation für das Pferd ist, desto wichtiger ist es, dass wir für Entspannung sorgen. Ignorieren wir die Versuche des Pferdes, die Lage zu entspannen, steigt sein Stresslevel weiter. Es liegt an uns, hier unserem Pferd zu helfen.

Verständnis statt Strafen!

Wie schon gesagt: Beschwichtigungssignale von Pferden werden leider von uns immer wieder falsch interpretiert. So ist das wegschauende Pferd aus dem obigen Beispiel sehr wahrscheinlich keineswegs „unaufmerksam“, so dass man ihm Konzentration beibringen muss. Ganz im Gegenteil: Hier ist stattdessen meist der Mensch unaufmerksam bzw. unwissend (oder er setzt gezielt Verunsicherung als eine Methode zum Machtmissbrauch ein).

Wichtig: Ignorieren oder bestrafen wir Beschwichtigungsverhalten, handeln wir nicht pferdefreundlich, denn wir bestrafen ein Pferd damit für sein natürliches Kommunikationsverhalten und seine Höflichkeit. Das führt verständlicherweise zu Verwirrung, Verunsicherung und oft auch Angst beim Pferd. Daraus wiederum entstehen häufig Stressreaktionen und Übersprungshandlungen. Schafft der Mensch auch dann noch keine Erleichterung für das Pferd, indem er den Druck reduziert und die Situation angenehmer macht, erlebt das Pferd zunehmend Frust, Überforderung und Ohnmacht. Die Folge davon können dann wiederum Aggressionen sein, oder das Pferd wird in die erlernte Hilflosigkeit getrieben, hört also auf, aktiv zu kommunizieren. Es funktioniert dann nur noch und zieht sich immer mehr in sich selbst zurück.

In meinem ersten Beitrag findest Du ein Beispiel unnatürlichen Beschwichtigungsverhaltens von Giaco, den Du auch auf dem Bild ganz unten sehen kannst. Giaco ist aufgrund früherer Erfahrungen eine gute Stimmung so wichtig ist, dass er auch dann beschwichtigt, wenn es eigentlich keinen Grund gibt.

Erkenne Beschwichtigungszeichen bei Deinem Pferd

Ich finde das Thema deshalb so wertvoll, weil wir hier einfach nur dadurch, dass wir achtsamer werden und unser Pferd besser verstehen, ganz vieles im Miteinander zum Guten verändern können. Und so möchte ich Dich sehr dazu ermuntern, genauer darauf zu achten,

  • auf welche Weise Dein Pferd höflich ist (zu anderen Pferden und auch zu Dir),
  • wann und vor allem wie Dein Pferd versucht, die Stimmung harmonisch zu halten oder zu verbessern (auch wieder in Bezug auf andere Pferde, aber auch im Zusammensein mit Dir)
  • und was jeweils dafür der Grund ist (Ist es höflich? Hat es Stress? Ist es unsicher?).

Tipp: Lass einfach immer mal wieder die Kamera Deines Handys mitlaufen, wenn Du etwas mit Deinem Pferd machst. Dann kannst Du Dir verschiedene Situationen später in Ruhe und mit etwas Abstand anschauen. Das kann am Putzplatz sein, bei der Bodenarbeit oder beim Reiten. In der Situation selbst nehmen wir vieles überhaupt nicht wahr, was sich dann aber auf den Filmen zeigt. Ich mache das selbst sehr häufig und staune immer wieder, wie viel ich dadurch entdecke und lerne!

MERKE:
Beschwichtigungssignale besser zu erkennen
und zu verstehen, schenkt uns die
Möglichkeit, unser Pferd immer besser
zu verstehen und auch immer besser
für es zu sorgen.

Beschwichtigungszeichen beim Pferd erkennen

6 Kommentare

  1. Das Handy mitlaufen zu lassen, also die Situation aufzeichnen, schafft andere Bedingungen, die die Situation schon verändern. 🤔
    Ich verhalte mich schon im Umgang anders wenn ich alleine bin, oder andere dabei sind. Wenn ich eher in mir Ruhe oder meinen Ärger/Stress mitbringe.
    Auch Pferd abhängig. Wenn einer ständig in mich rein rempelt reißt der Geduldsfaden, der schon mit Mühe gehalten wird, irgendwann.
    Aber durch den Artikel sehe ich jetzt mehr das, ein anderes Pferd, doch sehr viel in Beschwichtigung sich verhält.
    Ich habe, glaube ich, cholerische Tendenzen und persönliche Unsicherheiten , was eine tief gefühlte Geduld, Ruhe und Gelassenheit schwierig macht. Ich arbeite auch daran.

    Antworten
    • Herzlichen Dank für Deine Gedanken.
      Ja, zunächst verändert das Filmen die Situation, war bei mir auch so. Da ich es inzwischen bei allem Möglichen laufen lasse, also auch, wenn ich „nichts vorhabe“, ist es normal geworden und ich bin einfach nur gespannt, was es wieder für mich zu entdecken gibt. Mir hilft es sehr und ich gebe mir auf diese Weise geradezu selbst Unterricht 🙂
      Aber auch gerade, wenn das Filmen die Situation verändert, ist es höchst spannend, sich dabei selbst zu beobachten. Mir ist zum Beispiel durch das Filmen aufgefallen, wie ernst, ja oft sogar sauer ich früher ausgesehen habe. Mit dem Wissen, dass Pferde unsere Mimik lesen können, wundere ich mich heute nicht mehr darüber, dass mein Pferd so oft gestresst war! Durch das Bewusstsein darüber, sorge ich erstmal bei mir für eine gute Stimmung (und damit eine entspannte Mimik) und das hat viel verändert.
      Und was den Rempler angeht: Wenn wir es schaffen, ein Stück weit aus den bestehenden Mustern auszusteigen und uns anders verhalten, passiert ganz oft auch viel auf der anderen Seite.
      Ein lieber Gruß,
      Tania

      Antworten
  2. Liebe Tanja, dass die Verantwortung bei uns Menschen liegt, für Entspannung zu sorgen in für das Pferd belastenden Situationen, ist ein soo wichtiger Satz. Ich erinnere mich an eine Situation im Sattel, wo mein Pferd so unruhig war, dass ich dachte, es wäre eine gute Idee, ihn mal im Galopp einen Hügel hochzujagen, damit er „runterkommt“, und ihn dann zu zwingen, in gesittetem Schritt mit mir wieder runterzugehen. Das schaffte er nicht, er tänzelte und wurde nur noch unruhiger. Ich wollte mich mit Gewalt durchsetzen und verlangte also das gleich nochmal, und nochmal, und sagte sogar noch zu ihm: „wir galoppieren hier hoch, bis du gesittet im Schritt in Ruhe mit mir da runter gehst, vorher reiten wir nicht heim. “ Naja, ich bekam die Quittung. Beim dritten Mal hochgaloppieren warf er mich ab, das einzige Mal in 9 Jahren. Er hat das vorher und hinterhier nie getan. Gut, dass mir Freundinnen direkt hinterher die Augen geöffnet haben und mir gesagt haben, dass es natürlich meine Aufgabe gewesen wäre, das Pferd zu beruhigen und seine Not zu sehen, anstatt mich sogar schließlich zu Zorn hinreißen zu lassen! Und aus dieser Situation einfach auszusteigen, auch aus den Emotionen. Dieser Kommentar war deshalb so wertvoll, weil ich deshalbl sofort meinem Pony wieder uneingeschränkt vertrauen konnte. Was sie uns doch alles verzeihen, unsere großzügigen Pferde! Toll, dass du immer wieder neue Themen entdeckst und aufgreifst, liebe Tanja. Ich hab schon soo viel von dir gelernt!

    Antworten
    • Liebe Birgit,
      was du da beschreibst, kennen ganz, ganz viele! Denn genau so wird es – leider!!! – immer noch viel zu oft gelehrt. Warum, ist mir schleierhaft, denn „mehr Sicherheit“ lässt sich so genau nicht erreichen. Toll, dass Deine Freundin das so erkannt hat und toll, dass Du daraus gelernt hast! Dann war es zu etwas gut.
      Alles Liebe und Gute,
      Tania

      Antworten
  3. Ich war früher immer etwas enttäuscht, wenn andere Pferde sofort auf das Kommen ihres Besitzers reagiert haben, meins jedoch scheinbar nicht. Bis ich gemerkt habe, dass diese Pferde meist kein so schönes Leben hatten. Z.B. das Highlight des Tages eines Boxenpferdes ist es eben, wenn der Besitzer kommt und es für eine kurze Zeit des Tages aus der Box kommt. Mein Pferd im Offenstall unterbricht das Leben mit seinen Artgenossen für mich. Nicht immer sofort, nicht immer total begeistert, aber das ist ok, da es mir zeigt, wenn ich nicht da bin hat es auch ein zufriedenes Leben.

    Antworten
    • Oh ja, da sprichst Du einen wichtigen Aspekt aus! Pferde, die wenigstens halbwegs artgerecht leben, haben eben oft auch gerade „anderes zu tun“ und ihnen das zuzugestehen, finde ich auch sehr wichtig. Manchmal muss man einfach ein bisschen warten und sie kommen dann um so lieber.

      Ganz herzlich,
      Tania

      Antworten

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