Angst beim Pferd – wie reagieren?

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Über einen Großen Irrtum

Wie gehst Du damit um, wenn sich Dein Pferd erschreckt, scheut oder Angst vor etwas hat? Leider reagieren viele Pferdemenschen in solchen Situationen streng oder ignorieren das Verhalten. Vielleicht haben Dir Leute sogar ausdrücklich dazu geraten, ein Pferd in Angstsituationen „auf keinen Fall zu loben„? Dahinter steckt der Glaube, dass wir durch ein Streicheln, durch beruhigende Worte und gar durch die Gabe von Futter, das Pferd ja quasi „für sein Angst belohnen“ und damit die Angst beim Pferd verstärken. Das aber ist ein großer Irrtum, der es sowohl den Pferden als auch uns schwer macht! Mehr dazu erfährst Du in diesem Blogbeitrag.

Tipp: Möchtest Du wissen, wie Du für Dein Pferd ein verlässlicher Ansprechpartner bei Angst und Unsicherheit wirst? Dann komm in mein Webinar am 2.2.24, 20:00 Uhr – Infos und Anmeldung hier: Tanias Vertrauenstraining.

Ein Blick ins Gehirn

Die Behauptung, dass Pferde ängstlicher werden, wenn wir sie in einer Schrecksituation beruhigend streicheln oder Leckerlies geben, ist schlicht und einfach falsch. Ein Blick auf die Funktionsweise eines Säugetiergehirns zeigt, warum: Schreckreflexe und Angstreaktionen können nicht willentlich beeinflusst werden. Sie entstehen in einem evolutionsgeschichtlich sehr alten und primitiven Teil des Gehirns (der Amygdala), den weder wir, noch Pferde vom Willen her steuern können. Da es sich hier um eine überlebensnotwendige Reaktion handelt, macht das auch Sinn!

Das heißt: Genauso wenig wie Du Dir gezielt vornehmen kannst, Angst zu haben, kannst Du sie willentlich abstellen – und das gilt auch für Pferde. Das wiederum bedeutet, dass wir die Angst unseres Pferdes nicht durch Zuspruch, Lob oder etwas Gutes wie Futter verstärken können. Selbst wenn (und allein der Gedanke zeigt bereits, wie abwegig die Argumentation ist) Dein Pferd gerne mehr Angst haben wollte, um zum Beispiel mehr gestreichelt zu werden oder mehr Leckerlis zu bekommen, kann es das nicht willentlich tun. Manche gehen noch weiter und behaupten, dass Du dem Pferd mit einem Streicheln vermittelst, dass es Grund gehabt hat, sich zu erschrecken und damit es in seiner Angst bestätigst. Auf so etwas muss man erst einmal kommen …

… und ein Blick auf falsche Annahmen über Pferde

Meiner Erfahrung stecken hinter der Befürchtung, dass Pferde noch mehr scheuen oder Angst entwickeln, wenn wir in einer gruseligen Situation für etwas Gutes sorgen, nicht nur Unwissenheit, sondern vor allem auch falsche Grundannahmen über Pferde:

  • Pferde täuschen Gefühle nicht vor! Immer wieder ist so etwas zu hören, wie „dass die Zicke sich nur wieder aufspielt“ oder „dass der nur scheut, weil er nicht arbeiten will“ oder ähnlicher Unfug. Mit solchen Aussagen werden Pferde grob vermenschlicht.
  • Genauso wenig wollen Pferde uns nicht „das Leben schwer machen“, „uns besiegen“ oder „uns eins auswischen“. Auch damit projizieren wir menschlichen Eigenschaften auf Pferde. So tun wir ihnen Unrecht und entwickeln eine Umgangsweise, die nicht pferdefreundlich ist.
  • Darüber hinaus wird hier leider oft „Strenge“ mit Souveränität verwechselt: Wir wirken auf ein Pferd keineswegs selbstsicher, wenn wir mit ihm schimpfen oder es maßregeln…

Wir müssen verstehen, dass Angstreflexe und -reaktionen zu einem Fluchttier dazugehören und dürfen sie nie als „schlechtes Benehmen“ oder „Ungehorsam“ interpretieren oder gar strafen. Angst lässt sich genauso wenig „wegstrafen“ wie „herbeiloben“. Was dem Pferd hilft: dass wir zu einem verlässlichen Ansprechpartner werden, an den es sich wenden kann!

Strenge und Härte machen es schlimmer

Strenge und Härte reduzieren nicht die Angst des Pferdes, sondern dimmen allenfalls das Verhalten. Wird ein Pferd für eine Angstreaktion gerügt oder bestraft, wird es vielleicht lernen, die Reaktionen zu unterdrücken, aber das Gefühl, in diesem Fall die Angst, bleibt. Und mehr noch: Es kommt dann auch noch Angst vor der Strafe dazu. Damit riskieren wir eine massive Gegenwehr oder dass das Pferd sich komplett in sich zurückzieht. (Siehe dazu auch Angst macht doof)

Dazu kommt noch ein Aspekt: Pferde lernen assoziativ. Das heißt, dass sie sowohl positive als auch negative Erfahrungen mit Orten, Gegenständen, Ereignissen und auch Personen verbinden. Je strenger wir also in einer beängstigenden Situation reagieren, desto negativer wird das Ereignis für das Pferd. Auf diese Weise kann leider kein Vertrauen wachsen, sondern es wird uns unter Umständen als Angstfaktor abspeichern. Zusätzlich kann die unterdrückte Angst unter Umständen regelrecht zu einer Zeitbombe werden, die irgendwann explodiert. Dafür können wir aber durch verständnisvolle Reaktionen viele Pluspunkte in puncto Vertrauen sammeln.

Mit positiven Gefühlen die Angst beim Pferd auflösen

Wenn unser Pferd Angst hat, sollten wir immer eine sichere Anlaufstelle sein. Je öfter es die Erfahrung macht, dass wir in einer beängstigenden Situation für Sicherheit sorgen, desto mehr wird es darauf vertrauen, dass nichts Schlimmes passiert, wenn wir da sind. Damit lassen sich zwar nicht immer die Reflexe (also das Scheuen oder Wegspringen) verringern, aber Pferde, die ihren Menschen vertrauen, bleiben ansprechbar und fliehen nicht einfach kopflos.

Ich beantworte Angst beim Pferd so:

  • Ich versuche immer schon frühzeitig, aufkommende Sorgen und Unsicherheiten beim Pferd zu erkennen, um nicht erst reagieren zu müssen, wenn das Pferd bereits richtige Angst hat.
  • Zeigt ein Pferd Unsicherheit oder Angst, vermittle ich ihm, dass ich seine Sorge wahrnehme und mich darum kümmere. Ich spreche beruhigend und streichle es, wenn es Berührungen mag.
  • Ich achte auch immer gut auf meine eigenen Reaktionen! Auch wir verspannen uns oft, wenn wir die Unruhe des Pferdes wahrnehmen (was wiederum das Pferd spürt). Es ist wichtig, dass wir auch unsere eigenen Gefühle wahrnehmen, denn sie zu unterdrücken machen sie nicht „weg“.
  • Oft spreche ich auch aus, was gerade passiert und benenne vielleicht, was es zu sehen gibt.
  • Wenn möglich, lade ich das Pferd ein, sich die Sache genauer anzuschauen und achte hier genau auf sein Verhalten:
    –> Erhöht die Annäherung den Stress, sorge ich für mehr Abstand, bis das Pferd sich wieder etwas entspannt.
    –> Reagiert das neugierig, ermuntere ich es und lobe die Bereitschaft, sich mit der Sache zu befassen:

Angst beim Pferd – warum Futter oft eine gute Idee ist

Für mich ist die positive Verstärkung und dabei vor allem auch das gezielt eingesetzte Futterlob eine große Hilfe, wenn ich unsichere und ängstliche Pferde unterstützen möchte. Es ist damit möglich, selbst kleinste Mut-Momente lobend zu verstärken. So kann ich Pferde sehr effektiv darin ermutigen, sich aktiv auch mit unheimlichen Dingen zu befassen oder zumindest bei mir zu bleiben. Futter wirkt außerdem grundsätzlich entspannend und positiv auf die Stimmung. Und genau das möchte ich ja, wenn sich ein Pferd Sorgen macht!

Im Gegenschluss dazu ist es für mich ein echtes Gefahrenzeichen, wenn ein Pferd in einer unheimlichen Situation kein Futter nimmt. In diesem Fall werde ich alles tun, um aus der Situation herauszukommen, damit ich eine eskalierende Panik vermeiden kann. Auch hier würde ich Lob und Zuspruch nutzen, um das Pferd darin zu bestätigen, dass es auf mich reagiert, mit mir kommt und mir vertraut.

Lesetipps: Versteh Dein Pferd + Der Anti-Angst-Kurs

 

Angst beim Pferd

6 Kommentare

  1. Liebe Tanja, vielen Dank für diesen Text und die völlig einleuchtende Erklärung dazu. Schade, dass uns solche Dinge z.T. regelrecht aberzogen werden, denn ich erinnere mich gut, dass meine unmittelbare Reaktion auf Scheuen früher gewesen wäre, das Pferd zu streicheln und zu verrmitteln: ich bin da, bevor man mir beibrachte, dass ich damit die Angst verstärke. Auf jeden Fall werde ich es von heute an anders machen! Mein Pony, ein tapferer, mutiger kleiner Kerl, er hat es nicht verdient, für Angst Unverständnis oder Strafe zu bekommen! Du hast mir wieder mal richtig die Augen geöffnet!

    Antworten
    • Liebe Birgit,
      ganz herzlichen Dank für Deine lieben Zeilen. Ja, leider werden solche Behauptungen ganz oft einfach übernommen und als „Wahrheiten“ dargestellt…
      Ganz liebe Grüße an Dein Pony und Dich,
      Tania

      Antworten
    • Hallo,
      bei uns ist der Clicker vom Richtiggemacht-Marker längst auch zum Sicherheitsmarker geworden. Ein Click in einem Angst- oder Unsicherheitsmoment und ein Leckerli gibt Sicherheit, weil es ein konditionierter, vertrauter Ablauf ist und das Pferd in einen ebenfalls sicherheitsgebenden Dialog verwickelt. Das senkt meist schon die Angst und macht mich für das Pferd zum Ansprechpartner in für ihn schwierigen Situationen. Für einen Durchgänger wie meinen eine große Leistung. Es gibt mittlerweile Situationen, in denen wartet er regelrecht auf den Clicker, fordert ihn förmlich ein, weil er von mir wissen möchte, ob die Situation nun schlimm ist, oder nicht. Und wie groß die Augen werden, wenn der Clicker ausbleibt. Ob das wohl heißt, dass Flucht dringend angeraten ist? Aber dann der erlösende Click, die Erleichterung, das alles gut ist 🙂
      Ein sehr schönes Beispiel dafür ist Sylvester. Angst-Click-Leckerli, und schon ist alles nur noch halb so schlimm. Ok, dreiviertel.
      Das Thema Härte/Strenge haben wir allerdings auch, nämlich immer dann, wenn ich ungeduldig bin und wenig Verständnis für die Situation aufbringe. Das rächt sich gewöhnlich sofort, weil das Pferd umgehend aus der Kommunikation aussteigt und versucht, sich alleine zu helfen. Selten eine gute Idee.
      Es kann allerdings durchaus helfen – aber dafür braucht es Fingerspitzengefühl – in einem panischen Moment streng einzufordern, sich auf mich zu konzentrieren, denn manchmal vergisst er einfach die Möglichkeit, mich anzufragen, statt panisch zu werden. Dann muss ich laut auf mich aufmerksam machen. Aber das muss man sehr genau zu unterscheiden wissen, sonst geht es nach hinten los. Spätestens an der Reaktion des Pferdes (in Dialog gehen oder ganz raus gehen) erkennt man, ob die eigene Einschätzung zutreffend und die Maßnahme angemessen war, oder nicht. Und wenn nicht, sollte man sich sehr beeilen, das eigene Verhalten zu korrigieren, sonst geht man allein nach hause.

      Antworten
      • Herzlichen Dank, Tina, für Deine Schilderungen. „Sicherheitsgebenden Dialog “ – was für eine tolle Fomulierung!!!
        Lieber Gruß,
        Tania

  2. Hallo Tania!

    Zu diesem Thema,( bei dem ich dir voll und ganz zustimme!) habe ich vielleicht noch eine Anregung, die den Skeptikern die Argumentation erschwert: Auch ich habe so oft dieses Argument der falsch verstandenen Belohnung gehört…
    Aber die Sache sieht genau betrachtet, doch etwas anders aus! Wenn mein Pferd etwa scheut und kurz wegspringt, pariere ich so sanft wie möglich durch, lobe dann und gebe ein Leckerlie. Wofür wird denn nun belohnt??
    Doch für das Stehenbleiben und sich dem Menschen zuwenden! Und eben NICHT für das Scheuen! Das ist doch gar nicht möglich, einem wegspringendem Pferd ein Futterlob zu geben. Es wird also genau das richtige Verhalten belohnt!
    Bei meiner traumatisierten Spanierin, die extrem reaktionsschnell ist, ist schön zu beobachten, wie die Schreckreaktionen immer weniger heftig ausfallen, weil sie schon in dem Moment darüber nachzudenken beginnt, dass ja gleich etwas Gutes passiert! Und wirklich potentiell kritische Situationen kann man schon im Vorfeld entschärfen, indem man lobt, denn dann bleibt das Pferd gleich relaxed, ohne zu reagieren! Das habe ich bei meinem Araber Tunkas, der viele Jahre lang bei Unsicherheit spektakulär reagieren konnte, so oft beobachten können. Also, das Loben funktioniert und es ist auch logisch, weshalb!

    Liebe Grüße
    Anette

    Antworten

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