Vorwärts Reiten!?

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Über einen großen Irrtum im Training

„Du musst Dein Pferd vorwärts reiten“ – das ist eine Anweisung, die man nicht nur sehr oft im Reitunterricht hört. Irgendwie scheint jeder diesen Satz verinnerlicht und parat zu haben. Er ist ja an sich auch nicht falsch, nur wird er meiner Erfahrung nach leider oft falsch verstanden und entsprechend falsch umgesetzt. Bei einem guten Vorwärts ist nicht das Tempo entscheidend, sondern die Laufmanier!

Vorwärts reiten, heißt nicht zwingend auch schnell zu werden

Ist im Unterricht die Anweisung „Reite dein Pferd mal ordentlich vorwärts“ zu hören, versuchen die meisten Reiter/innen, ihr Pferd schneller zu bekommen. Eigentlich aber zielt diese Anweisung darauf, dass das Pferd mehr unter den Schwerpunkt treten soll. Ein reines Beschleunigen führt in den meisten Fällen dazu, dass das Pferd flacher wird, denn viele Pferde geraten in einem höheren Tempo auf die Vorhand und laufen dann gleichsam ihrer Balance hinterher. Die Folge ist dann wiederum, dass das Pferd „hart wird“ und der Reiter oder die Reiterin Schwierigkeiten bekommt, das Pferd noch zu sitzen. Kein Wunder! Das Pferd macht ja keine größeren, schwingenden Schritte, sondern in den meisten Fällen nur kleinere bei einem immer fester werdenden Rücken. Und genau das ist kontraproduktiv.

Zur Veranschaulichung habe ich Euch mal drei Bilder aus einem Video gezogen. Auf dem ersten Foto seht Ihr Skjöran zu Beginn der Reiteinheit bei einer der ersten Trab-Sequenzen. Er läuft noch verhalten und es ist gut zu sehen, dass die Hinterhand nicht unter den Schwerpunkt tritt. Er fällt deshalb leicht auf die Vorhand, obwohl die Nase vor der Senkrechten ist.

Vorwärts reiten

Nach einigen Minuten läuft er dann schon runder und mit etwas mehr Hinterhandaktivität. An dieser Stelle würden nun wohl viele sagen, dass man ihn nun mehr vorwärts reiten müsste, um ihn aktiver zu bekommen. Und das ist der entscheidende Punkt: Würde ich hier allein mehr Tempo machen, käme er nur noch mehr auf die Vorhand! Er trägt sich in dieser Phase noch nicht genug selbst, sein Brustkorb ist noch nicht angehoben. Ein höheres Tempo, vielleicht auch noch die ganze lange Seite entlang, würde zu einer Verschlechterung der Laufmanier führen.

Vorwärts reiten

Statt ihn also vorwärts zu treiben, reite ich sehr viele Schritt-Trab-Übergänge. Und zwar nicht nur ganze Bahn, sondern auf verschieden großen Volten. Durch viele Wechsel der Gangart steigere ich Skjörans Energielevel und aktiviere seine Hinterhand. Ins echte Vorwärts lasse ich ihn nur dann, wenn ich merke, dass er beginnt, wirklich die Hinterhand zu nutzen. Und das kann ich fühlen: Sein Rücken schwingt dann weicher nach oben und er kommt vorne mehr hoch.

Auf dem folgenden Foto ist genau so ein Moment zu sehen: Die Hinterhand tritt aktiv nach vorne und er beginnt, die Brust anzuheben. Die Bauchmuskulatur arbeitet, das Genick wird zum höchsten Punkt und die Nase ist vor der Senkrechten. Das ist das Vorwärts, das ich anstrebe.

Vorwärts reiten

Aber Achtung: Ein gutes Vorwärts zu reiten erfordert Fingerspitzengefühl und ein Verständnis dafür, dass das eine anstrengende Sache für ein Pferd ist. Viele Pferde können ein solches Vorwärts nicht lange halten und fallen dann schnell wieder auf die Vorhand. Ich möchte deshalb vor allem zu Beginn nur einige, wenige Schritte Vorwärts. Sanft fange ich das Tempo dann gleich wieder auf und leite eine Volte ein oder pariere zum Schritt durch. Wird hier zu viel gefordert, ist die Folge ganz oft ein Balanceverlust beim Pferd. Es reicht einfach oft die Kraft nicht aus. Dann stürmt das Pferd auf der Vorhand nach vorne – und das ist genau das, was wir ja vermeiden wollen.

Ein gutes Vorwärts ist nicht so einfach!

Ein gutes Vorwärts in Selbsthaltung bedarf viel Übung, und zwar für das Pferd, aber auch für uns Menschen. Das gilt für das Reiten, wie auch für das Longieren.

  • Wir brauchen einen weichen Sitz, mit dem wir die Bewegungen des Pferdes geschmeidig mitgehen können. Wir dürfen nicht im Becken oder Gesäß fest werden oder mit den Beinen klammern. Unsere Hände müssen wirklich unabhängig von den Bewegungen des Pferdes sein, damit wir es nicht stören. Je geübter Ihr im Reiten seid, desto leichter und schneller werdet Ihr spüren können, ob Euer Pferd tatsächlich in Selbsthaltung vorwärtsgeht oder ob es ins Rennen kommt. Rennen ist nie gut!
  • Und beim Longieren gilt es, das Auge zu schulen. Wir sollten möglichst schon die Tendenz zur Vorhandlastigkeit erkennen und dann dem Pferd durch entsprechende Lektionen zur Selbsthaltung verhelfen. Auch hier ist es ganz wichtig, das Tempo nie über einen Zug an der Longe regulieren zu wollen, denn damit bringt Ihr es nur aus der Balance.

Weniger ist mehr

Wenn ich reite oder unterrichte, geht es zunächst immer nur um einige, wenige flotte Schritt voran. Viel zu oft kommt es genau hier zu Sitzschwächen beim Reiter oder Reiterin und/oder zu einem Balanceverlust beim Pferd. Es reichen einfach oft das Können und die Kraft bei Mensch und Pferd noch nicht aus. Dafür braucht es Zeit und Geduld, deshalb gilt es hier, langsam und mit Bedacht zu steigern.

Meiner Erfahrung nach ist es ausgesprochen hilfreich, immer mal wieder die Handy-Kamera beim Reiten und Longieren mitlaufen zu lassen. Dann könnt Ihr Euch das Ganze in Zeitlupe anschauen und prüfen, ob Euer Pferd wirklich mit einer aktiven Hinterhand unter den Schwerpunkt tritt oder nicht. Und findet heraus, was dem jeweiligen Pferd ganz konkret dabei hilft, zu mehr Selbsthaltung zu finden, denn dann könnt Ihr es immer besser dabei unterstützen.

Lesetipps: Der Reitkurs von „Wege zum Pferd“, Sehen lernen und Der Longenkurs

Vorwärts reiten

3 Kommentare

  1. Mehr Trab ohne mehr Fahrtwind
    Dieser Satz meiner Trainerin beschreibt es sehr schön, das richtige Vorwärts.

    Antworten
    • Das ist eine tolle Beschreibung, das nehme ich mir auch zu herzen.

      Antworten

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