Die Rechte der Pferde

Geschrieben von Tania Konnerth

Tania ist Autorin und Pferdecoach. Sie schreibt seit vielen Jahren für Blogs und Zeitschriften, hat diverse Bücher veröffentlicht, gibt Webinare und coacht Pferd-Mensch-Paare. Sie wünscht sich vor allem, dass Pferde besser verstanden werden.

Ein Gespräch mit Marlitt Wendt über gelebte Ethik und Pferdefreundlichkeit

Es gibt zur Zeit wohl kein Pferdebuch, das auf eine so große Resonanz trifft, wie „Die Rechte der Pferde: Ein Plädoyer für Tierwohl und Ethik“ von Marlitt Wendt. Rezensionen, Interviews, Vorträge…, das Thema trifft den Nerv der Zeit. Ich halte es sogar für eines der wichtigsten Pferdebücher überhaupt. Denn endlich wird hier das Thema „Ethik“ aus der Tabu-Ecke geholt. Und das auf eine Weise, wie es wohl niemand besser hätte machen können als Marlitt. Sie ist als Vorreiterin in Sachen positiver Verstärkung, als Autorin, Dozentin und Trainerin schon lange ein wichtiges Sprachorgan für die Pferde. Mit ihrer positiven und gewinnbringenden Art benennt sie in ihrem Buch Mankos ebenso wie klare Forderungen, damit sich endlich wirklich etwas ändert im Umgang und Training mit Pferden.

Die Rechte der Pferde
Marlitt Wendt: Die Rechte der Pferde
Frankh-Kosmos, ISBN: ISBN: 9783440159613

Da Marlitt und ich uns schon lange kennen, und wir thematisch sehr oft an denselben Themen arbeiten, habe ich sie gefragt, ob sie Lust auf ein schriftliches Gespräch zu ihrem Buch hat. Hier kannst Du es lesen.

***

Tania: Liebe Marlitt, erst einmal gratuliere ich Dir ganz herzlich für den Erfolg Deines neuen Buches „Die Rechte der Pferde“. Es ist einfach großartig, welche Resonanz dieses Buch findet und ganz sicher noch weiter finden wird.

Wissen über Pferde …

Wir beide kennen uns ja schon lange und haben immer wieder festgestellt, wie ähnlich wir ticken und dass wir dieselben Ziele verfolgen. So habe ich mich zum Beispiel im letzten Jahr für „Versteh Dein Pferd“ auch intensiv mit vielen Themen befasst, die Du in Deinem Buch ansprichst. Tierschutzvorgaben, wie die fünf Freiheiten, Jaak Panksepps Forschung zu den Emotionssystemen und anderes. Das ganze Wissen ist ja längst da und es kommt immer mehr neue Erkenntnisse dazu! Worum es aus meiner Sicht vor allem gehen muss, ist die Frage, wie echte Veränderung in der Pferdewelt möglich wird. Du und ich sind ja schon lange dabei, immer wieder zu zeigen, wie Umgang und Training pferdefreundlicher werden können, aber das allein reicht leider offenbar nicht aus.

In „Die Rechte der Pferde“ gehst Du auf eine weitere Ebene, denn dieses Buch wurde vor allem von der Wissenschaftlerin Marlitt Wendt geschrieben. Und das verleiht allem, was Du schreibst, nochmal eine andere Wichtigkeit und auch Wucht. Gewalt und Missstände anzusprechen, kommt damit noch mehr aus der „Tüddeltanten-Ecke“ heraus und muss immer ernster genommen werden. Wie wunderbar wäre es, wenn Dein Buch nicht nur all die Pferdebesitzer*innen erreicht, die pferdefreundlicher handeln möchten, sondern wenn es auf den Ebenen ernst genommen wird, die so vieles in der Pferdewelt bestimmen: Verbände, Organisationen und der „große Sport“. Hattest Du das beim Schreiben als Wunsch oder auch Ziel im Kopf?

… reicht allein noch nicht aus

Marlitt: Genau, Du sagst es: Das Wissen ist grundsätzlich teilweise schon lange da. Jetzt geht es darum, es anzuwenden und am Ball zu bleiben, die Erkenntnisse in den Alltag einzubeziehen. Und ich glaube, das gilt auf die gesamte Pferdewelt bezogen. Wenn man also im großen Stil Menschen erreichen möchte nur über die Verbände und Organisationen. Mein Ziel ist es wirklich diese Themen raus aus den Nischen-Bubbles und hinein in die großen Märkte zu bringen.

Mir geht es darum dass sich die sogenannte Freizeitreiter-Szene mit ihren vielen Facetten nicht immer mehr abschottet und immer weiter in Teilgruppen zerfällt, die sich wiederum gegenseitig anfeinden, sondern um das Öffnen von Türen in sämtliche Richtungen. Denn ich glaube tatsächlich nach wie vor und trotz all der Probleme und Missstände im Pferdebereich, dass die allermeisten Menschen, die sich mit Pferden beschäftigen, auch ein Herz für Pferde haben. Oft ist es Gedankenlosigkeit, Unwissenheit oder schlicht Gruppendruck oder Angst, die Menschen dazu bringen, ihr Herz vor dem Tierwohl zu verschließen. Das versuche ich nun mit der Mischung aus „harten Fakten“, über Forschungsergebnisse und viele Zitate aus spannenden Studien und Selbstreflexions-Themen im Buch so zu gestalten, dass ein Umdenken stattfinden kann. 

Immer dasselbe?

Das wiederum ist, glaube ich, genau die Gemeinsamkeit, die Du da angesprochen hast, liebe Tania: Wir sind irgendwie in allem, was wir tun, auch Vermittlerinnen, oder? Oder wie geht es Dir damit, nach so vielen Jahren letztlich immer und immer wieder dieselben Themen in immer anderem Gewand zu besprechen? Fühlt es sich wie eine Szene aus dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ an? Welche Veränderungen würdest Du Dir wünschen, dass sie endlich wirklich stattgefunden hätten, damit man sich auf die nächsten Themen stürzen könnte?

Tania: Tja, damit sprichst Du tatsächlich etwas an, das mich sehr umtreibt. Ich schreibe durchaus gerne auch immer wieder über ähnliche oder gleiche Themen, wenn – ja wenn! – ich damit auch „neue“ Leute erreiche. Aber genau das gestaltet sich zunehmend schwieriger, denn diese „Blasen-Bildung“ führt dazu, dass man nicht mehr so einfach außerhalb der vertrauten Leserschaft wahrgenommen wird. Hinzu kommt aus meiner Sicht, dass ein pferdefreundlicher Umgang nicht besonders spektakulär, sondern eben sanft und leise ist. Auch das macht es nicht leicht, in der lauten, schrillen Welt der sozialen Medien Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch ohne die verpufft fast jede Aktion. Dabei gibt es doch viele, die nach Impulsen und alternativem Rat suchen, weil sie unglücklich mit den herkömmlichen Herangehensweisen sind! 

Ethik muss gelebt werden

Ich wünsche mir sehr, dass Dein Buch auch Personen erreicht, die in den Entscheider-Positionen von Verbänden und Organisationen sitzen. Solange im Umgang und Training mit Pferden Gewalt immer noch normal ist, Rollkur-Reiter*innen weiter Goldmedaillen gewinnen und wider besseres Wissens zum Teil grundlegend Falsches über Pferde behauptet und verbreitet wird, lässt sich leider nur etwas im Kleinen bewegen. Ich schreibe „nur“ nicht, weil es nicht wertvoll ist, sondern weil ich so sehr hoffe, dass es Zeit für größere Veränderungen ist. In diesem Zusammenhang halte ich es für mutig und notwendig zugleich, Begriffe wie Ethik und Moral einzuführen, also Themen, vor denen (nicht nur) wir Pferdemenschen uns gerne drücken. „Die Rechte der Pferde“ toll zu finden, reicht leider nicht aus, wenn im Stall dann der Schlaufzügel eingeschnallt und mit der Gerte zugehauen wird. Doch argumentiert man so, schallt einem gleich das zur Zeit so moderne „Ich lass mir gar nichts vorschreiben.“ entgegen.

Wie gehst Du damit um?  

Geht es voran in Sachen Pferdefreundlichkeit?!

Marlitt: Es ist wirklich so schwierig und es ermüdet mich auch über die Jahre mehr und mehr. Dieses Thema mit den spektakulären Bildern, der Lust am Drama, an der Show, um die maximale Aufmerksamkeit zu erreichen. Da ist es dann letztlich egal, ob das die von Dir erwähnten Rollkurmanier-Reiter*innen sind, die immer noch bejubelt und ausgezeichnet werden oder diejenigen, die halsbrecherische Tricks zu Lasten der Pferde zeigen. Manchmal frage ich mich, warum die Welt sich so sehr verändert hat. Warum das leise, ruhige, aber korrekte Arbeiten mit Pferden nicht eigentlich weiterhin einen Wert in sich selbst hat? Die allermeisten von uns Pferdemenschen wollen ja eigentlich ein vitales, gesundes, langlebiges Pferd als Partner fürs Leben und keine Marionette. 

Ich persönlich versuche, ähnlich wie ich es bei Dir immer wieder herauslese, an diesen ursprünglichen Herzenswunsch zu appellieren. An dieses Sich-Erinnern, warum man überhaupt angefangen hat, sich mit Pferden zu beschäftigen, und was die eigenen inneren Werte dabei sind. So kann man – im Idealfall jedenfalls – selbst die Prioritäten wieder zurechtrücken und erkennen, wo mehr Schein als Sein ist und man bewusst oder unbewusst von anderen geblendet und manipuliert wird. 

Raus aus den Blasen

Manche andere Blasen wird man eventuell so nicht erreichen, aber ich freue mich immer wieder, wenn ich zum Beispiel für Tierärztefortbildungen gebucht werde oder für eher klassische Magazine schreiben darf. Und ich glaube weiterhin auch, dass, vielleicht etwas verschüttet, aber doch bei so einigen noch ein inneres Bild vorhanden ist, wie zum Beispiel ein zufriedenes Pferd eigentlich aussieht. Die meisten unvoreingenommenen Kinder wissen es jedenfalls. Sich daran zu erinnern, hilft glaube ich allen, das Bild der Pferdeszene wieder zurechtzurücken. Und es ist ja auch ein Unterschied in der Perspektive der Wahrnehmung, ob man die eigene Bubble gerne vergrößern möchte und positives Pferdewissen in die Welt tragen möchte oder ob man die negativen Auswüchse bekämpfen möchte.

Für mich geht es in meiner Arbeit ganz klar um die Einladung aller Menschen und nicht um den Kampf. Egal gegen wen. Sowas in der Art ist vermutlich auch ein Grund, warum Du zum Beispiel mit dem Kurs „Versteh Dein Pferd“ beim Wunsch, das Pferd besser zu verstehen, ansetzen wolltest, oder? Dieses Unterfüttern des Wunschtraums vieler mit dem nötigen Fachwissen und dem dazugehörigen Raum für den eigenen Weg. Was meinst Du, welcher Weg für Dich im Moment der wichtigste ist, den Du persönlich zum Thema Pferd gehen möchtest? Gibt es da eine spezielle Aufgabe, die Dich aktuell besonders ruft? 

Allein in Sachen Pferdefreundlichkeit?

Tania: Nein, Kampf und Angriffe sind auch für mich keine Wege. Aber allein Wissen zu verbreiten, reicht vielleicht auch nicht, denn das tun ja – erfreulicherweise! – immer mehr. Ich denke im Moment viel darüber nach, ob es ansteht, noch etwas anderes zu bieten. Über viele Jahre konnte ich mit meinen Texten und Kursen bei „Wege zum Pferd“ eine Menge Leute erreichen, die dann Impulse oder auch Ansätze daraus für ihren eigenen Weg nutzten und das wiederum weitertrugen. Heute habe ich den Eindruck, dass immer mehr derjenigen, die pferdefreundlich handeln, sich aus allem herausziehen und irgendwie versuchen, allein klarzukommen. Genauso habe ich es zu Beginn auch gemacht, nur so konnte ich in einem „normalen“ Stall überhaupt immer mehr meinen eigenen Weg finden. Aber dabei geht so vieles verloren und macht es unnötig schwer.

Ich selbst wünsche mir viel mehr Austausch zu bestimmten Fragen oder Herausforderungen. Und so geht es, glaube ich, vielen. Ich träume von einem offenen, angstfreien Raum, in dem Menschen zusammenkommen, die gegenseitig sich dabei helfen, Pferdefreundlichkeit zu leben und immer wieder das eigene Tun zu reflektieren. Und zwar ohne Likes und Applaus und dem ständigen Selbstdarstellungszwang, sondern mit Zuhören, Empathie und echter Hilfe. Ich wünsche mir mehr Unabhängigkeit von den gängigen sozialen Medien und davon, was sie mit uns machen. Dieses endlose Scrollen und liken ändert, so mein Eindruck, nicht mehr viel im praktischen Umgang und Miteinander mit Pferden. Eigentlich logisch, denn dafür braucht es Aktivität und nicht nur eine kurzfristige Beruhigung des schlechten Gewissens. Ganz ehrlich, wenn ich fünf Extra-Stunden am Tag hätte, würde ich versuchen, das alte „Wege zum Pferd“-Forum aufleben zu lassen …

Echter Austausch gewünscht?!

Marlitt: Oh, da sagst Du was: Dieses Endlos-Scrollen, das Liken, diese Seifenblasen-Welt der Social-Media-Kanäle. Ja, ich bin da auch müde, denn vieles wird natürlich nur gepostet, um das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen, sich selbst darzustellen oder schlicht den Algorithmus zu bedienen. Man dreht sich immer irgendwie im Kreis und kommt doch nie zu dem Kern der Sache, weil echter Austausch auf Augenhöhe kaum möglich ist. Vielleicht weil es kein geschützter Raum ist, so wie das „Wege zum Pferd“-Forum damals ein Stück weit war, sondern weil es „Mitleser*Innen“ gibt, die ihrerseits ständig einsteigen können und Stimmung machen können. Viele Themen sind ja auch nicht für eine Sekundenaufmerksamkeit gemacht, sondern benötigen Muße und Zeit, darüber zu sinnieren, Vor- und Nachteile wirklich abzuwägen oder unterschiedliche Stimmen erst einmal überhaupt anzuhören. 

Und da ertappe ich mich auch immer wieder dabei, dass ich mich zurückziehe. Einfach weil es so wahnsinnig anstrengend in dieser neuen lauten Internet-Welt ist. Da wünsche ich mir dann mehr wirkliche echte Kontakte mit Menschen, die wirklich etwas bewegen wollen im Sinne der Pferde. 

Tania: Na, im Moment tust Du jedenfalls das ganze Gegenteil von Rückzug! Du trägst immens wichtige Themen in die Pferdewelt und das in einer Weise, wie vielleicht nur Du es kannst: nämlich wirklich auf Augenhöhe! Lass uns doch in absehbarer Zeit dieses Gespräch wieder aufgreifen und schauen, was Dein Buch „Die Rechte der Pferde“ bewirkt hat und was uns vielleicht alles an Ideen bis dahin in den Sinn gekommen ist. Ich freu mich darauf!

Video-Tipp: Und wer von Euch uns beiden noch in einem anderen Gespräch erleben möchte, kann das hier tun.

5 Kommentare

  1. Hallo Tanja,
    Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich habe das Buch gelesen und finde es auch sehr wichtig, die Missstände in der Pferdewelt anzusprechen. Ich bin nun schon ein paar Jahre reger Wege zum Pferd-Nutzer, habe einige Kurse bei euch gekauft und (hoffentlich) vieles zum Guten im Umgang mit meinem Pferd geändert. Da in meinem Pferdeumfeld niemand ist, mit dem ich mich über den freundlichen Weg austauschen kann, fände ich ein geschütztes Forum toll.
    Viele liebe Grüße, Monika

    Antworten
    • Liebe Monika,
      herzlichen Dank für Deine Zeilen und wie schön, dass Du schon so lange dabei bist!
      Ja, es geht leider vielen so, dass sie vor Ort noch recht allein sind. Da würde ich sehr gerne was zu anbieten, muss nur schauen, wie das realistisch umzusetzen ist.
      Liebe Grüße zurück,
      Tania

      Antworten
  2. Hallo Tania,
    ich fände so ein Forum auch toll.
    Ich habe ein wirklich inniges und vertrauensvolles Verhältnis zu meinem Pferd. Wie ich das geschafft habe und das es oft nur ganz kleine Dinge sind, die unseren Pferden das Leben wertvoll machen, würde ich gerne berichten und mich austauschen

    Antworten
    • Liebe Birgit,

      ja, genau so etwas fände ich auch bereichernd!
      Ich kann nichts versprechen, aber ich denke gerade sehr intensiv nach, wie sich so etwas machen ließe.
      Alles Liebe,
      Tania

      Antworten
      • Ich finde es wirklich sehr schade, dass es das Forum nicht mehr gibt… LG Almut

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